Hat Spotify 750'000 Songs von Independent-Artists gelöscht?
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Betrügerische Streams

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Betrügerische Streams

Hat Spotify 750'000 Songs von Independent-Artists gelöscht?

Tobias Brunner
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Hat Spotify 750'000 Songs von Independent-Artists gelöscht?
Quelle:
unsplash.com | @willianjusten
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Spotify hat auf Anfang Jahr offenbar hunderttausende Tracks von Indie-Musiker*innen entfernt. Der Streaming-Konzern begründet diesen Schritt mit Verstössen gegen die Nutzungsbedingungen und gekauften Plays. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass das nicht die ganze Wahrheit ist.

Alles deutet darauf hin, dass Spotify zum Jahreswechsel in einer regelrechten Säuberungsaktion um die 750’000 Tracks entfernt hat. Aufgefallen ist das als erstem dem auf Entertainment spezialisierten Anwalt Wallace Collins, der im Branchenblog «music think thank» darauf aufmerksam gemacht hat. So haben einige seiner Klienten berichtet, dass einzelne ihrer Tracks oder sogar ganze Alben nicht mehr aufrufbar sind. Auffällig ist dabei, dass fast ausschliesslich Artists betroffen sind, die den digitalen Vertriebsdienstleister Distrokid nutzen, und dass Major Labels verschont geblieben sind.

Eine offizielle Bestätigung von Spotify gibt es nicht, den betroffenen Artists sei laut Collins aber mitgeteilt worden, dass es sich um «fraudulent streams» handle – also Plays, die auf betrügerische Weise entstanden sind. In einem Tweet des Spotify-Supports heisst es zudem, dass gelöschte Tracks mit der Anstrengung des Unternehmens, «artificial streaming» zu verhindern, zusammenhängen könnten. Dies passiere aber unabhängig vom Vertrieb, was sich mit einer Aussage von Distrokid deckt. Fakt ist, dass Spotify seit 2018 Unternehmensanteile an der Firma hält, was mindestens einen faden Beigeschmack hat. Dass Major-Label-Artists verschont geblieben sind, könnte damit zu tun haben, dass Universal Music, Sony und Warner an Spotify beteiligt sind und milliardenschwere Verträge zwischen den Unternehmen bestehen.

Spotify verweist auf seine «Terms and Conditions», also die Nutzungsbedingungen für Artists, wonach nicht nur manipulierte Streaming-Zahlen sondern auch die Platzierung auf Playlisten gegen Bezahlung verboten sind – zumindest wenn dies durch Drittanbieter geschieht. Auch ist es nicht das erste Mal, dass der Streamingdienst im grossen Stil aufräumt, wie du in diesem Artikel nachlesen kannst:

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Es sieht im aktuellen Fall so aus, dass bereits weniger aggressive Formen von Promo für die Entfernung von Tracks gereicht haben. Neben Anwalt Collins hat auch der Musikbusiness-Experte und YouTuber Damian Keyes auf die Problematik hingewiesen. In einem Video erklärt er, dass es Spotify als Tech-Konzern um «saubere Daten» geht und entsprechend keine Unstimmigkeiten bei den Plays vorliegen sollen. Ist das aber der Fall, kann es zu Löschungen kommen.

Solche Unstimmigkeiten sind etwa dann vorhanden, wenn aussergewöhnlich viele Hörer*innen einen Song nach wenigen Sekunden geskippt haben, was darauf hindeutet, dass diese nicht auf «organische» Weise – also Spotify-intern – darauf gestossen sind, sondern durch Einmischung «von aussen». Dies führt zum Kernpunkt der Debatte: Spotify stört sich daran, wenn andere Player mitverdienen. Dies wurde im letzten November deutlich, als der Streaming-Konzern mit dem «Discover Mode» selbst einen Service angekündigt hat, der Playlist-Platzierungen gegen Bezahlung ermöglicht. Mehr dazu findest du in diesem Artikel:

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Drittanbietern ist dieses Vorgehen untersagt, einige Firmen wurden ganz oder in Teilen aufgekauft, wodurch der Konzern auch hier mitverdient. Entsprechend liegt der Verdacht nahe, dass es bei der aktuellen Säuberungsaktion vor allem darum ging, das eigene Promo-Tool zu pushen. Diese Erklärung liefert zumindest das Musikerportal «bonedo» – YouTuber Damian Keyes steht solchen Theorien eher kritisch gegenüber und ruft Musiker*innen dazu auf, sich aus eigenem Interesse strikt an die Nutzungsbedingungen zu halten. Einig sind sich aber alle, dass die Leidtragenden hier Artists ohne Labelvertrag sind – und zwar oft ohne eigenes Verschulden. Dies kann der Fall sein, wenn der Vertrieb eigenmächtig auf problematische Promo-Tools zurückgreift – ohne digitalen Vertrieb ist es übrigens praktisch unmöglich, seine Musik auf Streamingdienste zu stellen. Dazu kommt der Umstand, dass Artists sowieso kaum verhindern können, dass jemand anderes ihre Streamingzahlen manipuliert und beispielsweise in böser (oder guter) Absicht Klicks kauft. Dieses Problem könnte sich in Zukunft noch verstärken.

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