Rest in Peace, JUICE Magazin: Eine Ära geht zu Ende
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September
2022

Kolumne

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Rest in Peace, JUICE Magazin: Eine Ära geht zu Ende

Luca Thoma
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Rest in Peace, JUICE Magazin: Eine Ära geht zu Ende
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Mit dem deutschen Qualitätsmagazin verliert der europäische HipHop nicht nur eine wichtige Plattform: Das Ende der JUICE ist auch ein Symbol für einen kolossalen Umbruch im Rap-Journalismus und im HipHop generell, der bereits vor Jahren seinen Anfang nahm.

Meine persönliche Geschichte mit der JUICE besteht aus drei Episoden: Zuerst war ich lange Jahre ein grosser Fan, dann durfte ich selbst als stolzer Autor Geschichten publizieren – und schliesslich verlor das Magazin für mich seinen Glanz. Die Meldung, dass die JUICE ihren Betrieb einstellen muss, ist für mich mehr als das Ende des wichtigsten HipHop-Magazins des Kontinents: Es wird auch eine ganze Epoche im Rap zu Grabe getragen.

Das Statement des Piranha-Verlags.

Doch beginnen wir von vorn: Als ich das erste Mal eine JUICE kaufte, war ich zwölf Jahre alt und musste dafür locker fünf verschiedene Kiosks abklappern, denn die wenigen Exemplare, die aus Berlin nach Basel gesandt wurden, waren jeweils schnell vergriffen. Anders als die «Bravo HipHop» – rest in peace –, die es damals in Hülle und Fülle zu kaufen gab. Denn die JUICE war nie ein richtiges Massenmedium. Wie auch? Die Autor:innen, die für sie arbeiteten, hatten den Anspruch, im Stile eines Feuilletons mit «Street Credibility» über Rap zu schreiben. Das gelang mal besser, mal schlechter. Dementsprechend lasen sich die Texte: Sie waren verschachtelt, experimentell, emotional, manchmal ausdrucksstark und bewegend, manchmal komplett unverständlich und verschroben. Auch die Themenwahl war legendär. Die JUICE traf die ganz Grossen: Marteria, Casper, Samy Deluxe, bisweilen sogar Stars aus Übersee wie Macklemore oder Drake. Gleichzeitig featurete das Magazin aber auch völlig unbekannte Untergrund-Crews aus Hannover, Heidelberg oder Buxtehude und publizierte episch lange Texte über Nischen-Themen wie Beatmaking im Iran, die heissesten Rap-Newcomer in Houston (Texas) oder die Geschichte einer HipHop-Partyreihe im Chemnitz der 1980er-Jahre.

Eine alte JUICE-Ausgabe mit Sido auf dem Cover.

Eine neue JUICE war immer wie ein «Menu Surprise» in einer gehobenen Quartiersbeiz: Man wusste nie so richtig, was man als Nächstes serviert bekommt und ob es zu hundert Prozent den eigenen Geschmack treffen wird. Doch man konnte sich darauf verlassen, dass die Köche ihr Handwerk beherrschen und viel Liebe in ihre Arbeit stecken. Heute, wo Rationalität und der Service-Gedanke dominieren, wo man sich auf Spotify genau das aussuchen kann, was einem gefällt, und wo Newsportale und Zeitungen versuchen, ihre Berichterstattung auf die Bedürfnisse des Einzelnen masszuschneidern, wirkt dieses wilde Potpourri, dieser herausfordernde, bisweilen verschwenderische Umgang mit wertvollem Druckpapier als komplett wahnsinnig. Doch genau diese Ausgeflipptheit machte den Reiz einer JUICE aus.

Und gleichzeitig war sie meinungsmachend und relevant: Die grossen Künstler:innen boxten sich darum, aufs JUICE-Cover zu kommen, die relevantesten Meinungsmacher:innen von Falk Schacht bis Marcus Staiger schrieben Kolumnen. Als wir LYRICS von einer Maturarbeit zu einem Magazin mit journalistischem Anspruch ausbauten war die JUICE immer ein wichtiges Vorbild. Und ein – zugegeben ziemlich unerreichbarer – Leitstern, der gezeigt hat, wie reichhaltig und qualitativ Rap-Journalismus überhaupt sein kann, wenn man vollen Einsatz leistet.

Die 185. Ausgabe der JUICE.

«Was für’n Gefühl, mich in der JUICE zu sehen», rappte Bushido 2004 auf seinem Klassiker «Nie wieder». Genau so ging es mir, als ich dort im Februar 2018 meinen ersten Artikel über die «History of Swissrap» publizieren durfte. Ausgabe #185, RAF Camora auf dem Cover, Luca Thoma auf Seite 87.  Nie wieder in meinem Leben war ich so stolz darauf, meinen Namen in einer Autorzeile lesen zu können. Denn zu keinem anderen Medium hatte ich eine derart emotionale Verbindung wie zur JUICE. In den kommenden Jahren wurde ich noch für weitere Artikel angefragt: Lo & Leduc, Manillio – Features von Schweizer Künstlern in Europas grösstem HipHop-Printmagazin. Ich schrieb nur sporadisch Texte für die JUICE, aber wenn ich das Heft jeweils in der Hand hielt, fühlte ich mich, als wäre ich ein klitzekleiner Teil von etwas Grossem, etwas Historischem.

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Dieses Gefühl endete abrupt, als eines Tages ein Brief bei mir reinflatterte, der mir mitteilte, dass die JUICE ihr Printmagazin einstellt und «digital wird». Denn die Umwälzungen im Medienmarkt und das Wegschmelzen der Werbebudgets für Printmedien gingen natürlich auch am Kultmagazin nicht spurlos vorbei. So verständlich und nachvollziehbar dieser Schritt auch war: Mit dem Ende des physischen Magazins verblasste für mich der Glanz der JUICE. Wenn ich die Geschichten auf der neuen Onlineplattform las, fand ich sie zwar kein Bisschen schlechter als zuvor – doch dieses Gefühl des Schmökerns, des Entdeckens war dahin. Und damit der Nimbus der JUICE. Mit dem LYRICS verhielt es sich ähnlich: Als wir radikal von Print auf Online umstellten, verloren wir an Gewicht und Relevanz. Der Vorteil gegenüber der JUICE: Wir trafen zwar keineswegs auf Neuland – Shoutout Aightgenossen <3 – mussten aber nicht in ein Haifischbecken mit einer derart hochgerüsteten, finanzstarken und stilvollendeten Online-Konkurrenz mit jahrelangem Digital-Vorsprung wie die Portale von hiphop.de, der Backspin oder 16 Bars springen.

Die letzte JUICE-Ausgabe.

Auch wenn die neue JUICE-Website Website schön gemacht war: Das Produkt war nicht mehr dasselbe. Noch heute vermisse ich dieses schöngemachte Coffee-Table-Magazin auf meinem Nachttisch, in das ich mich immer wieder aufs Neue vertiefen kann. Je länger, je weniger Zeit verbrachte ich auf der Website. Auch wenn es schlussendlich die Corona-Pandemie und, damit einhergehend, ein massiver Einbruch der lebensnotwendigen Werbeeinahmen waren, die dem Onlinemagazin ökonomisch das Genick brachen: Für mich läutete bereits der digitale Umbruch das Ende der JUICE ein.

Will die JUICE kaufen: Rapper Sierra Kidd.

Ihr Ableben ist aber nicht nur ein Symptom der Digitalisierung des Medienmarkts und des schleichenden Todes des Printjournalismus. Die JUICE war für mich das letzte HipHop-Medium, das dazu beigetragen hat, dass es überhaupt noch so etwas wie eine Rap-Szene in Deutschland (oder Europa) gab. Das den unterschiedlichsten Künstler:innen von Summer Cem über die Orsons und Schwesta Ewa bis hin zu Money Boy oder LGoony eine Plattform gab. Ihr Ende zeigt auch, dass es diese Szene schlicht und einfach nicht mehr gibt. Zu fragmentiert sind die Camps, die Hörerschaften, die Locations. Im Gleichschritt hat sich auch der Fokus der Rap-Berichterstattung verändert: Während die JUICE praktisch «nur» über Musik schrieb, sind heute andere Dinge wie der Beziehungsstatus, der Kontostand, die Instagram-Likes oder das Feriendomizil eines Rappers oder einer Rapperin scheinbar interessanter für die Leserinnen und Leser. Das Spotlight dreht sich weg von Text-Analysen und nerdigem Fachsimpeln hin zu Entertainment. Ich will das nicht werten, stelle aber fest, dass die JUICE mit ihrem inhaltlichen Profil schlicht und einfach aus der Zeit gefallen ist.

Twitter-User kosher rubchinsky über die Bedeutung des Tods vom JUICE Magazin.

Vielleicht ist sie eines Tages jedoch wieder aktueller denn je. Doch werden ihre Inhalte bis dahin sorgfältig archiviert? Auf Twitter wiesen der ehemalige JUICE-Journalist Johann Voigt und der User «Kosher Rubchinksy» darauf hin, dass mit dem Abschalten des Servers auch über 20 Jahre Kulturgeschichte verloren gehen könnten. Gerade falls jemand eines Tages eine umfassende Geschichte Deutschraps schreiben möchte, wäre die JUICE mit Sicherheit eine der wichtigsten Quellen. Wir haben in der Schweiz mit dem Debakel um Nation Music erlebt, wie viel Kulturgut durch einen Firmenkonkurs verloren gehen kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich ein solches Fiasko nicht mit dem JUICE-Archiv wiederholt. Denn der Verlust des journalistischen Gesamtwerks, von derart viel Wissen und Emotionen, wäre meiner Meinung nach sogar noch ein deutlich grösseres Drama als der heutige Abschied vom wichtigsten Rap-Medium, das es im deutschsprachigen Raum je gegeben hat.

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