Warum die Hyäne HipHop ist
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December
2022

Tommy Vercetti im Interview

Warum die Hyäne HipHop ist

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2022

Tommy Vercetti im Interview

Warum die Hyäne HipHop ist

Moritz Wey
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Warum die Hyäne HipHop ist
Quelle:
Janosch Abel
Obacht Freunde – es ist «Viertel vor Figg!» Tommy Vercetti kommt mit dem Überraschungsalbum «Sympathie für Hyäne» um die Ecke. Wir erklären, weshalb es kein typisches Tommy-Album ist, aber dennoch auf Hörgenuss stösst.

Ein bisschen baff darf man schon sein: Schon wieder ein Album – war da nicht gerade erst das «Patient Null»-Release? Auch «No 3 Nächt Bis Morn» ist noch nicht ewig her. Nun noch ein weiteres Werk, und dazu mit dem konzeptionell anmutenden Titel «Sympathie für Hyäne». Doch schnell wird klar: Statt thematisch strukturierte Songs mit aufbauenden Geschichten und einheitlicher musikalische Untermalung, erwartet uns ein Best-Of aus Tommys jüngster Schaffensphase: Verspielt, frech und verdammt gut gerappt.

Album mit EFM-Mixtape-Charakter

Als eingefleischter Fan masse ich mir an, eine wiederkehrende musikalische Herangehensweise herauszuhören. Entgegen den letzten Alben wirkt «Sympathie für Hyäne» wieder assoziativer, frecher und ein bisschen wie eine Collage der gelungensten Releases der letzten drei Jahre.

Spätestens mit dem im Jahr 2021 erschienenen Eldorado FM-Song «ABCDEFM» kämpfte sich die waghalsige Hoffnung, die Schöpfer des genial-genuinen Gugus hätten wieder Lust, «ein paar Beats zu verhämmern», zurück an die Oberfläche. Da wären wir nämlich bei der Herangehensweise – dem EFM-Swagger als Initialzündung. «Tatsächlich», erklärt Tommy bestätigend, «rückte in der Pandemiezeit der Fokus auf die wesentliche Freude am Schreiben und Rappen wieder mehr ins Zentrum».

«Je mehr es mit der Musik läuft, desto seltener machst du welche»

Vercetti findet sich in den letzten drei Jahren in einem Arbeitsmodus wieder, den er zuletzt aus den Mitte-00er-Jahren kennt. Eine Hustler-Attitüde, eine Freude am Feilen, die man hört – am On-Point-Level der Lines, den neuen Erzählwinkeln und den versierten Flows. Ein Segen, der paradoxerweise unter seinem eigenen Erfolg leiden muss: «Je mehr es mit der Musik läuft, desto seltener machst du welche. Nicht weil du keine Lust dazu hättest, sondern weil du zwangsläufig mehr anderweitig eingebunden bist». Das Erfolgsrezept – ein offenes Geheimnis: «Ob beim Rappen, Singen oder Instrument spielen: Du musst ständig üben, um gut zu sein und auch, um es zu bleiben.»

Ganz vergleichbar mit der Gratis-Mixtape-Zeit der Spassformation Eldorado FM ist es dann doch nicht. So ist es schlicht undenkbar heute, In alter EFM-Manier einen gezippten Ordner mit mp3s hochzuladen – nur schon wegen dem Sample-Clearing für Spotify. So werden aus Skizzen und Parts, oft schon über irgendwelche Instrumentals gerappt, mit Hilfe von Manillio und Beats von Ruck P, Purple Green und weiteren Produzenten schliesslich runde Songs. Neben ziemlich zufälligen Beatpicks aus verschiedensten Ordnern und Federn kommt’s dabei zu regelrechten Auftragsarbeiten, wie bei «Oh Shit»: Da sollte die neue Produktion dem existierenden Beat ähnlich klingen. «Ruck ist ein richtiger Nerd, der liebte das und schickte mir dann bereits wenige Stunden später was zurück», meint Tommy begeistert.

Doch gerade bei diesem Stück fällt auf: Es sind nicht ganz alle «im Huus». Lässt sich vom Eldorado-Feeling sprechen, wenn eine bestimmte Stimme fehlt? «CBN hat uns vor einigen Jahren schon deutlich gemacht, dass er keine Lust mehr hat, Musik zu machen» erklärt Tommy bitter. «Ich habe zwar aufgehört, aber Dez nervt ihn immer wieder mal mit Aufforderungen, sich wieder daran zu machen». Eine Entscheidung, die man hinnehmen muss. Lust kann man schliesslich nicht forcieren.

Identifikation mit dem Pöbel

«Sympathie für Hyäne» – dem etablierten Rap-Lyriker, Marxisten und Autor sozialwissenschaftlicher Beiträge legt man bei solch einem Wording ganz selbstverständlich eine tiefgreifende symbolische Auseinandersetzung nahe. Woher also kommt die Vorliebe für die menschlich kichernden Raubtiere, die dem Werk den Titel gibt? Ungleich seiner sonstigen Alben ergab sich dieser unglaublich spät, als alles bereits im Kasten war, erklärt Tommy zu Beginn unseres Meetings. «Beim Filmeschauen fiel mir immer wieder auf, dass meine Sympathie für die unheilvollen Schurken, die entlang ihrer schwierigen Verhältnisse handeln, viel grösser ist.» Asozial, hinterlistig, matriarchal, pervers, queer: Das Tier und seine vielschichtige Symbolik passt letztlich nicht nur zum Album: «Die Hyäne kann sich, selbst wenn man zoologische Quellen studiert, von ihrem schlechten Ruf kaum lösen». Also haufenweise Parallelen zum Rap nach Tommys Gusto. Und eben auch zur ganzen HipHop-Kulturgeschichte.

«Sie nennes vulgär, i nennes Street»

«Lüt wei mir säge, dass ds nüm mit dene Wort geit», rappt Tommy Vercetti auf «Mach e Line drus». Bei solchen und zahlreichen anderen Zeilen macht sich einen gewissen Unmut breit, der auf Albumlänge anhält und sich als wiederkehrendes Meta-Thema herausstellt. Der Bezug ist offensichtlich: Zum diesjährigen Cypher, der szeneintern und extern – beispielsweise in der linken Berner Polit-Bubble – vehement diskutiert wurde, äusserte sich Tommy mehrfach.

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«Die Debatten waren berechtigt», meint er heute. Es geht um Rap auf Augenhöhe, der nicht nach unten tritt und ohne diskriminierende Sprache auskommt. Doch auch die gewaltvolle Sprache habe ihre Gründe, erklärt Tommy: «Dieser Wut sind begrenzte Mittel gegeben. Da geht's zunächst darum, Lärm zu machen um gehört zu werden».

«Die diskriminierende Verwendung vom Wort "B****" kommt aus einer hochsexistischen Kultur, die vor allem die Herrschenden zu verantworten haben»

Das Kind mit dem Bad ausschütten

Beim Cypher würden Primitivlinge von Steuergeldern finanziert. Solche und ähnliche Kritik am Rap, so Tommys Beobachtung, komme seit je her aus dem immer gleichen Gesichtspunkt des Unmoralischen, Vulgären und Beleidigenden. Doch darin liege die Gefahr: «Gerade wenn das Urteil von Privilegierteren gefällt wird– Stichwort Klassenkampf von oben – bestehe das Risiko, der Kultur das Widerständige zu nehmen». Stattdessen, so Vercetti, sei die beleidigende Sprache in diesem Kontext als zur Schau stellen von problematischen Verhältnissen unserer Gesellschaft zu deuten. «Rap sagt: „Schaut her, was ihr angerichtet habt“». Wörter wie «B****», so der bekennende Feminist, entstammen einer hochsexistischen Kultur, die vor allem die Herrschenden zu verantworten haben. Den Finger also einfach auf die Hyänen zu richten, gleiche schnell einer Sündenbock-Argumentation.

«Ich habe einen Prozess durchgemacht und an meiner Sprache gearbeitet. Ich hoffe, das hört man»

Damit wären wir wieder beim Albumtitel: Sympathie für Hyänen zu haben impliziert, selbst keine zu sein. Ein Teil ihrer Wut in sich zu tragen – okay, das liegt Tommys solidarischer und politischer Überzeugung zu Grunde. Jedoch verfügt er längst über gewisse Mittel – ob kulturelles oder soziales Kapital. Dementsprechend selbstkritisch geht er an den Schreibprozess dieses Releases: «Ich habe einen Prozess durchgemacht und an meiner Sprache gearbeitet. Ich hoffe, das hört man».

Vom «Schnäbiprinz» zum «Chläbiprinz»

So auch auf «Zwärg», ein Song, entstanden in mehreren Anläufen. Einzelne Passagen rappte er bereits am Cypher, gewisse Zeilen passte er schliesslich, auf Grund der Auseinandersetzung mit der Kritik, im Nachhinein an und andere liess er bewusst stehen. Wieder andere, schreibt er bezogen auf die Kritik an Rap, nachträglich:

«Es isch scho lame, dass me Zilene verfougt u keis Wort schnaut, wüu me zeut wi mir flueche»

An einer ernsthaften Deutung seiner Texte mangele es, so der Vorwurf: «Es kommt mir vor, als würden gewisse Ohren nur Anstössiges herausfiltern und den Rest ausser Acht lassen». Uneinigkeiten in Kreisen, die gar nicht so weit auseinanderliegen. So ist «Zwärg» auch eine Auseinandersetzung mit der jüngsten Spaltung der Linken. Besonders kritisch beäugt Tommy die linke Berner Szene, wenn auch mit einer dialogbereiten Haltung: «u mis Dahei isch vilech da, und i binech nid bös/ doch mit sich erlöst füehle, isch no niemer befreit/ aber für 1-2 Kafi bini immer erreichbar».

«Wer meint  schon „Schnäbiprinz“ wirklich ernst?»

Dieser Szene entspringt auch das Hatepop-Kollektiv, die sich am Cypher mit einem deutlichen Seitenhieb an Tommy richteten: «U dr Tommy wür de Chingli gern e Gschicht verzeue, leider cha dr Tommy immer nur vom Figgä rede».

Aus demselben Grund, so scheint es, kann Tommy diesem Diss nicht viel abgewinnen. «Das hätte früher kommen müssen», meint er grinsend. Tatsächlich geht es auch hier den grösseren Zusammenhang: So entpuppt sich sein Narrativ der hypermännlichen Inszenierung von Promiskuität bei genauerem Hinhören als Persiflage einer Alpha-Männlichkeit. Zu erkennen an gezielten Brüchen des Stereotyps, wie dem Slogan «sensibu sii isch Gangsta» und einer Prise Homoerotik, die seinem Gestus anhaftet. Damals, in den 00er-Jahren zur Radiosessions-Zeit, habe er mit dieser Spielerei und seiner hohen Stimme viele irritiert. «Doch wer meint schon „Schnäbiprinz“ wirklich ernst?», fragt sich Tommy.

Weicher aber radikaler

Seit der «Polarlos EP» ist Tommy Vercetti um die Rolle des Working Class Daddys reicher.

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Das kann ganz schön rührend sein – etwa wenn er bei «Ängle im Spa» rappt: «bi Hood, doch i wett me singe/ i bi nur ehrlech: ersch d Ching hei mi zwunge zu Kolleginne» oder «vor ihrer Geburt hani nur grännet bim Lil-Wayne-Intro». Eine Wärme, die jedoch nicht auf Kosten seiner beharrlichen Systemkritik geht: «Mit dem Elternsein, dem Sorgen für die Nächsten, die einem womöglich überleben, kriegen politische Fragen eine grössere Dimension. Da ist es nur noch wichtiger, klar zu sehen, was auf dieser Welt abgeht», so der zweifache Vater.

«Das Patriarchat ist für alle Geschlechter katastrophal»

Die Angst, sich mit dem Altern zunehmend politisch abzuflauen, plagt den 41-Jährigen nicht. Gerade seine Tätigkeiten liessen es zu, radikale Entscheidungen zu treffen. Ein Luxus, der nicht allen zusteht. Laut Tommy sei es nahvollziehbar, dass man gemässigter wird, wenn man bestimmten Jobs nachgehen muss. «Doch das heisst nicht, damit sei man vernünftiger geworden, sondern schlicht resignierter».

Tochter und Sohn in einer patriarchalen Welt aufwachsen zu sehen, sensibilisiert Tommy: «Das Patriarchat ist für alle Geschlechter katastrophal». Mit diesen Themen, auch angestossen durch die Cypher-Kritik, beschäftigt er sich auf «Sympathie für Hyäne» schliesslich besonders: «In dieser Albumphase habe ich versucht, mich mit meiner Männlichkeit und meinem Sexismus auseinanderzusetzen. Das ist schwierig, denn: blinde Flecken sind eben blinde Flecken».

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