Eine verspätete Analyse zum Album von Sophie und Pit
Wednesday
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May
2023

Wer ist «M.R.X.»?

Eine verspätete Analyse zum Album von Sophie und Pit

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2023

Wer ist «M.R.X.»?

Eine verspätete Analyse zum Album von Sophie und Pit

Yosina Koster
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Eine verspätete Analyse zum Album von Sophie und Pit
Quelle:
Journal B
Bald ein halbes Jahr ist es her, dass die Chaostruppe-Members Sophie und Pit ihr gemeinsames Album M.R.X. veröffentlichten. Jetzt, wo das Ende eines grauen Winters langsam in Sicht ist, wage ich es nochmals, mich auf das Album einzulassen, das mich gleichermassen fragend, traurig, hässig und leicht depressiv macht.

Während der Einstieg des Albums mit Lines wie «lasere mi Schnouz wäg u fühle mi frei / aues wär perfekt, hätti nur chli längeri Bei» (Sophie, Zweni) noch die typische Kombination aus Represent und selbstironischem Chaostruppe/FHG Humor ist, kippt die Stimmung bereits im zweite Track rasant.

Embryostellung für immer

«Chini nöch bi de Chnöi» löst genau dieses Bedürfnis aus: in Embryostellung hinlegen, liegen bleiben, Chini nöch bi de Chnöi, sich zumindest kurzzeitig vor allem Übel der Welt verstecken; abwarten, ob die Welt da draussen in der Zwischenzeit besser oder noch schlimmer wird - im Wissen, dass man irgendwann sowieso wieder aufstehen muss. Der Track ist ein schonungsloses Gegenmittel gegen die Desensibilisierung, die sich durch die Gewöhnung an tägliche Horrormeldungen oft einstellt. Lines wie «Mir fähle aui die, wo ihres Läbä hei im Meer glah / aber okay, ig due so, aus hätt das aues gar nie weh ta» (Sophie) gehen direkt ins Herz. Sie erinnern daran, wie pervers es ist, sich an dieses Level an durch Menschen verursachtes Elend zu gewöhnen. Mit Lines wie «stöu dir vor, es geit um / Ladekabu, Stachudraht / Händ ufe, vilech fassisch mau e Stärnschnuppä» schafft es Pit einmal mehr, diese tiefgreifende Lebenseinstellung der rohen, intuitiven & selbstverständlichen Solidarität zu vermitteln - «mis Härz schlaht für die Hingerste».

«Mir hei üs doch mau gschworä, dass mir niemer zrügg löh / iz ghöri nur no z Donnere, vom Spränge vo Brüggä» (Sophie, Chini nöch bi de Chnöi)

Der Track ist eine sehr harmonische Zusammenarbeit mit zeny., Gegen Ende des Tracks droppt sie - sorgfältig platziert - den ersten Hinweis auf den Albumtitel. «Blibe no chli be der und mir blibed no chli wach / zitiere gschidi Mönsche aber nid dr - » deutet an, in welche Richtung es thematisch auf dem Album geht.

Alltäglicher Kapitalismuswahnsinn abbrennen

«Charte oder Bar» liefert wiederum tanzbare Kapitalismuskritik. Mit viel Zynismus und mitreissenden Beats zieht die Superkombo Sophie, Pit, Migo, Buzz & ARTBABE das Tempo des Albums an. Es werden spassige Bilder gemalt, die ein abruptes & spektakuläres Ende des alltäglichen Konsums erhoffen lassen. Dazu kommen Referenzen, die ganz im Zeichen des eigenen politischen Selbstverständnisses stehen:

«Mir hei gelehrt usem 2007 / wär hüt drvo träumt, dass morn aues neu isch / erwacht übermorn hinger Gfängnisgitter» (Migo, Charte oder Bar)

Mama lueg, mir zerreisst es das Herz

Spätestens mit «Nouveau Depart» wird Pit für mich zum Melancholie-Botschafter des Schweizer Raps. «I bi deheim we hie aues überwachse isch / I bi frei im Diheim wo für aui isch»; eine einfache Zeile, die direkt unter die Haut geht. Das wiederkehrende Motiv eines Kindes, dass das Gespür über die eigenen Finger verliert und dies - «Mama, lueg», «Papa, lueg» - mit einer erschreckenden Nüchternheit verkündet, ergänzt die albumübergreifende Stimmung der schockierten Lähmung mit einem weiteren gruseligen Bild.

«Üsi Wuet isch verdünnt, es gäb 700 Gründ / u aui heis gwüsst aber niemer hets dänkt / niemer hets gseit aber aui heis gläbt» (Sophie, Nouveau Depart”)

Das Feature mit Walid ist im ersten Moment eher überraschend - der Wechsel ins Französische, der ernste Text und der Gesang passen im ersten Moment nicht so richtig zur Sophie & Pit Dynamik. Doch warum die Zusammenarbeit eben doch ins Gesamtkonzept passt, zeigt sich beim nächsten Track, «Petit Loup». Auf diesem Track rappt und singt ausschliesslich Walid. Man muss nicht viel Französisch verstehen, um zu spüren, dass er eine Geschichte - seine Geschichte - zu erzählen hat, die mühelos ihren Platz im Album findet. Walid erzählt von einem grausamen System, welches Kinder zu Wölfen macht und mehr als genug Gründe liefert, das eigene Zuhause zu verlassen, auf der unsicheren Suche nach einem neuen. Der Zusammenarbeit mit Walid geht eine Freundschaft vor; die Struggles um geregelten Aufenthalt, Sicherheit und ein lebenswertes Leben sind nicht nur musikalisches Thema sondern bittere Realität im Freundeskreis. Umso naheliegender, dass in der Musik nicht nur über betroffene Menschen geredet wird, sondern dass Künstler:innen wie Walid im Herzen des Albums ihre eigene Geschichte erzählen können.

Der Track namens «Momo» weckt für mich auf den ersten Blick nicht viel Interesse - der Bezug auf den gleichnamigen Roman Michael Endes hat eigentlich langsam etwas ausgedient. «Klar isch: es git 1000 Wäge hänge zblibä / vo zviu Drogä bis zviu Gäud verdiene» (Pit, Momo); Trotzdem geht das Bild eines unerschrockenen, zuhörenden Mädchens als einzige Hoffnungsträgerin im Kampf gegen zeitstehlende graue Männer natürlich perfekt im Gesamtkonzept des Albums auf.

«Öies Läbä, öies Lide / het mi radikalisiert / wär sini Ouge gäng verschliesst / het se nid verdient» (Sophie, Momo)

Geheim

«d’Nachbare hei nüt gahnt / ig ha mi mit Ching tarnt / ig ha mi druf iglah / jede Sunnti Tierpark / oh weni se iz lieb ha, si Opfer unvermidbar / ig maches oh für se / u ihri Zuekunft / leider weissi ging no nid / was uf mi zuechunnt» (Sophie, Kheim) Mit solchen Lines bringt «Kheim» doch wieder eine humorvolle Note ins Album. Mit überspitzten Bildern wird eine linke Szene parodiert, die ihre politischen Machenschaften entweder masslos überschätzen oder vor lauter Sicherheitsvorkehrungen gar nicht mehr zum eigentlichen Aktivismus kommen - oder beides. «Du fragsch mi wies mir geit / ig säge ganz luut nei / mir chöi nid drüber redä / üse Plan isch gheim» (Sophie & Pit, Kheim).

Obwohl Sophie & Pit sicher die Letzten sind die abstreiten, dass es im linken Aktivismus mehr als genug Gründe gibt, vorsichtig zu sein, ist humoristische (Selbst-)kritik immer angebracht, wenn Menschen anfangen, sich selbst zu Ernst zu nehmen. Der Song nimmt einerseits Leute innerhalb der Szene aufs Korn, welche sich mit angeblicher Militanz in Szene setzen wollen: «Ig lache wiene Bösewicht, u ribe mini Häng / denn ig plane mit dr Sophie es paar mega fiesi Plän / zur Sicherheit sägi ihre nid um was es geit / oh nid wenn u wo, niemer döf ds mitbecho» (Pit, Kheim). Andererseits ist der Track auch ein Seitenhieb auf eine linke Bewegung, die in der Realität zumindest Scheintot ist: «Schläferzäue hei sie huere ufem Radar / drum si mir e Komazäue, tada!» (Pit, Kheim).

«blibä locker u witzig, mit Bronchitis im Tram / Nazis hei Hippies ar Hang / u Linki hei Angst / ig ha meh OG’s im Chäuer / aus Finger a de Häng / üsi Chinder si e Gang / Slang hauet ide Gäng» (Sophie, Tatort)

«Tatort» kommt gegen Ende des Albums nochmals mit bissigen Punchlines, einer einprägsamen Hook und einem überraschenden Abriss-Moment auf einem C. Perkins Beat rein. Es herrscht eine fröhliche Weltuntergangsstimmung und Sophie & Pit rappen Lines, wie man sie auf einem Sophie & Pit Album erwartet: «Hocke obe ufem Bus mitme Bluemestruss / ig ha Bluet a mine Finger, vo mim Uterus» (Sophie, Tatort)

«Ig ha es chlises Büsi / wo dr Heiwäg wieder fingt / u es Meitschi / wo sich säuber i Schlaf singt» (Sophie, Yeeeh!)

M.R.X. hören - M.R.X. lesen

Den Abschluss findet das Album in einem seidenfein produzierten Nicht-Fazit. «Bi zu gnue luuter Musig / am tanzä mit mir säuber / lehrä vo 74 Mönsche / vo 74 Wäutä» (Pit, Yeeeh!). Nachdem mich das Album in eine melancholische, weltverdrossene Stimmung verbracht hat, stellt sich nun die Frage, was gegen eine grausame, kapitalismuszerfressene Welt hilft. Doch wer meint, Sophie & Pit liefern hier das Gegengift, wird enttäuscht: «Das hie isch ke Antidote / z Richtige im fausche Song / z Bestä schomau vor mir gha / föh nid nomau vo vore ah» (Pit, Yeeeh!).

«Renne düre Waud / im Chopf ordnet sich de aus / vier chlini Händli / chützelä mi Haus / dr Mangoboum wird grösser / dr Winter geit verbi / z’Meer wird immer wärmer / dr Sand blibt immer fiin» (Sophie, Yeeeh!)

«Chum mir spile när / dass öpper uf üs gewartet hätt / u finge neu zunang / öppe so wie Narbegwäb» (Pit). Und doch ist das Ende des Albums nicht durch Hoffnungslosigkeit gezeichnet. Das Album endet mit versöhnlichen Tönen, Zusammenhalten, einander auffangen, weitermachen, egal wie beschissen die Aussichten sind: «Ich bi nätt / scheisse sy chöi anderi» (zeny).

Und wer sich nach dem schweren Album doch nach einem Fazit oder einem Lösungsansatz sehnt, verweise ich gerne auf den Albumtitel und zeny.s geschickten nicht-Reim: «blibe no chli be der und mir blibed no chli wach / zitiere gschidi Mönsche aber nid dr - »

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