HipHop als politischer Mindstate
Thursday
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9
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September
2021

LYRICS History Episode 2

HipHop als politischer Mindstate

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2021

LYRICS History Episode 2

HipHop als politischer Mindstate

Luca Thoma
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HipHop als politischer Mindstate
Quelle:
In unserer Throwback-Rubrik «LYRICS History» schauen wir zurück auf sieben ereignisreiche Jahre LYRICS Magazin. Die Printversion, die seit zwei Jahren nicht mehr produziert wird, bietet so einige Perlen, die sich nicht nur aus Nostalgiegründen zu lesen lohnen. Deshalb ein Rückblick auf einige unserer relevantesten, besten und spannendsten Artikel von 2014 - 2019.

In der zweiten Episode LYRICS History schauen wir zurück auf einen Artikel aus der Ausgabe Nr 15, unsere Sonderausgabe gewidmet der Frage «Hat HipHop ein Problem?». In diesem noch immer brandaktuellen Artikel argumentiert unser Journalist Luca Thoma, welche Rolle Politik im Rap spielt und welche Verantwortung HipHop-Künstler/innen gegenüber der Politik haben.

Ghetto Presidents - HipHop als politischer Mindstate

Bobi Wine nutzt seine Songs als Sprachrohr, um seinen Verdruss über die grassierende Korruption in Uganda mitzuteilen – das Volk hört zu.

Bobi Wine sitzt in einer schmutzigen Gefängniszelle in Ugandas zweitgrösster Stadt Gulu. Hier muss er die Zeit totschlagen, bis er am 3. Dezember vor einem korrupten Gericht eine haltlose Anklage gegen ihn verteidigen soll. In Wahrheit sitzt er hinter Gittern, weil er den Mut hatte, gegen Korruption und Lügen in seinem Land aufzustehen. Bereits verurteilt wurde Josep Miquel Arenas aus Mallorca. Um nicht wie Bobi Wine in Haft sitzen zu müssen, hat er sich nach Belgien abgesetzt. Im Kontext des Konflikts zwischen der spanischen Regierung und Katalonien hat er allem Anschein nach die Grenzen der freien Rede überreizt. Der Vorwurf: Glorifizierung von Terrorismus.

Zwei Menschen, zwei Kulturen, zwei Kontinente. Doch eine Sache verbindet Josep und Bobi: Sie beide sind Rapper. Bobi Wine, bürgerlich Robert Ssentamu, gilt in Uganda als Volksheld, als «Ghetto President». Er nutzt seine Songs als Sprachrohr um seinen Verdruss über die grassierende Korruption in der nationalen und wirtschaftlichen Elite mitzuteilen. Er erhebt seine Stimme gegen Unrecht und Rechtsverletzungen. Josep Arenas rappt als Valt­ònyc für die Selbstbestimmung der spanischen Regionen. Er wurde für Zeilen gegen die Monarchie und die Polizei zu 42 Monaten Haft verurteilt. Bobi Wine und Valtònyc sind keine exotischen Einzelfälle, sie reihen sich in die Verflechtungsgeschichte von HipHop und Politik ein.

HipHop entstand in New York der 1960er Jahre als Party-Movement für Jugendliche aus der Bronx. Auf den Block Partys wurde gefeiert, getanzt und vermutlich das erste Mal gerappt. Durch die Rassenunruhen und die systematische Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung in den USA politisierte sich die Bewegung jedoch atemberaubend schnell.  

Kollektive wie Public Enemy und Run DMC stellten sich in die erste Reihe des Widerstands gegen Rassismus, Ungleichheit und Unterdrückung. «Fight the Power» wurde zum Motto einer ganzen Generation. Auch wenn Rap als Musikstil und HipHop als Kultur zu diesem Zeitpunkt noch nicht dieselbe Strahlkraft wie heute besassen: Auf den Strassen und den Demonstrationen elektrisierte und politisierte der Sprechgesang abertausende Jugendliche aus bildungsfernen Schichten.

Als sich in den 80er-Jahren der Gangster-Rap entwickelte, der vordergründig Kriminalität und Drogenhandel glorifizierte, wurde er vorschnell als oberflächlich und fehlgeleitet verurteilt. Erst Jahre später wurden Gangster-Rapper wie N.W.A. für die Thematisierung von Polizeigewalt und die exakte Beschreibung ihrer prekären Lebenswelt in den sozialen Brennpunkten wertgeschätzt. Auch heute, im Jahr 2018, thematisieren blutjunge Künstlerinnen und Künstler aus dem Hiphop-Kosmos Themen wie Drogenkonsum und Depression. Was aus vielen Ecken als oberflächlich und stupid belächelt wird, bricht in Wahrheit Tabus. Wir beobachten nicht den Untergang der HipHop-Kultur, sondern bloss ihre Renaissance und ihre notwendige Bluttransfusion.

Mit seiner Musik fängt Kendrick Lamar «die Komplexität des modernen afroamerikanischen Lebens» ein – dafür hat er als erster Rapper den Pulitzer-Preis gewonnen.

Man kann es also drehen und wenden, wie man möchte: HipHop ist nicht einfach eine Subkultur wie jede andere. Vertreter der HipHop-Kultur aus allen Ecken der Welt berufen sich auf die gemeinsame Geschichte. Sie sind stolz, Teil einer politischen Bewegung zu sein: Zusammenhalt, Gesellschaftskritik und Toleranz sind ihnen wichtig. So ist Rap für HipHop-Fans kein musikalisches Gefäss, dass jeder nach Belieben füllen kann. Wer keine HipHop-Werte vertritt – so der allgemeine Tenor – macht auch keinen Rap.

Auch das Selbstverständnis der Schweizer HipHop-Szene ist durch die Grundwerte Offenheit und Toleranz geprägt. Deshalb müssen die aktuellen Vorwürfe definitiv beantwortet und kontextualisiert, auf jeden Fall aber ernstgenommen werden: So wie Nazi-Rap ein Widerspruch in sich selbst ist, so muss auch für sexistischen oder antisemitischen Rap eine Nulltoleranz gelten.

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Viele Rapper verstehen ihre Musik als Kunst mit einer politischen Aussagekraft. HipHop ist ein starkes Ausdrucksmittel, umgesellschaftliche Missstände anzuprangern. Aus diesem Grund muss Rap unbequem sein. Auch wenn Urban Music die Charts entert, bleiben viele Künstler ihren Wurzeln treu und schaffen es, unangepasst und kritisch zu bleiben.  

Aus genau diesem Grund müssen HipHop und Rap aber auch bereit zur Selbstkritik sein. Unangenehme Fragen müssen gestellt werden, auch wenn es wehtut. Streit gilt es nicht zu vermeiden, sondern zu suchen. Nur im Disput finden wir neue, unkonventionelle Lösungen. Es ist also an der Zeit, sich schlau zu streiten. Worauf warten wir?

Text: Luca Thoma

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