Angekratzter Legendenstatus - wieso Eminem nach wie vor der GOAT ist
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May
2020

Kolumne

Angekratzter Legendenstatus - wieso Eminem nach wie vor der GOAT ist

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Angekratzter Legendenstatus - wieso Eminem nach wie vor der GOAT ist

Angekratzter Legendenstatus - wieso Eminem nach wie vor der GOAT ist
Quelle:
Jeremy Deputat
Eminem ist nicht mehr so gross wie früher. Klar. Sein neustes Album habe ich nur am Rande mitbekommen. Trotzdem ist er mein Lieblingsrapper und ich kann belegen, dass das Sinn macht.

Als ich Ende 2019 mein Spotify Wrapped, die Jahreszusammenfassung meines Streaming-Verhaltens, unter die Lupe nahm, fiel mir etwas auf: Wie schon im Vorjahr tauchte Eminem nicht in meinen Top-5-Artists auf. Und das, obwohl ich immer behaupte, er sei mein Lieblingsrapper. Wie kann es sein, dass ich nach wie vor so überzeugt von einem Künstler bin, dessen Sound ich mir nicht mal mehr wirklich gebe?

«Jahrelang wurden meine – zugegebenermassen unrealistisch hohen – Erwartungen nicht erfüllt. Mittlerweile habe ich gar keine mehr.»

In meiner Kinder- und Jugendzeit war Eminem noch cool, Klassiker wie Stan oder Real Slim Shady sowieso. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich zu Beginn und während des Zenits seiner Karriere Playmobil und Linard-Bardill-CDs mehr beschäftigten als Raptexte. Doch spätestens ab der Mittelstufe wurde ich zum Fan. Obwohl Relapse und Recovery viel Hate abbekommen haben, pumpte ich diese Alben in meiner Sek-Zeit pausenlos. Auch bei The Marshall Mathers LP2 war ich noch einigermassen dabei. Doch dann hängte ich ab. Revival floppte. Kamikaze hatte zwar eine geile Stimmung, überzeugte mich aber nicht wirklich, und Music To Be Murdered By habe ich höchstens einmal durchgehört. Und das ist mittlerweile symptomatisch: Ich habe gar keine Lust, Eminem-Songs zu hören. Denn jahrelang wurden meine – zugegebenermassen unrealistisch hohen – Erwartungen nicht erfüllt. Mittlerweile habe ich gar keine mehr.

Dribbeln mit Wörtern

J. Cole oder Action Bronson kann ich gut und gerne einen Nachmittag lang hören, Eminem halte ich keine Stunde lang aus. Und trotzdem ist er für mich der beste Rapper aller Zeiten. Nicht Tupac, nicht Jay Z, nicht Drake und auch nicht Travis Scott. Aesop Rock hat vielleicht ein grösseres Vokabular als Em, bei ihm dreht sich aber auch alles darum, dieses Vokabular möglichst zur Schau zu stellen. Eminem nimmt Wörter und spielt mit ihnen wie Ronaldinho mit einem Fussball. Er reiht nicht nur einfach Fachbegriffe aneinander, sondern erzählt mit ihnen eine Geschichte, die einem näher geht als jede Netflix-Serie.

Em ist nicht der begabteste Sänger, das ist klar. Und trotzdem transportiert er auf Hailie’s Song nur mit Singen Gefühle, die in mir ein Kid Cudi nicht auszulösen vermag, trotz gesanglicher Überlegenheit. Nebst einigen gesanglichen Fehltritten hat sich Em immer wieder melodisch versucht, hat auf My Band mit seiner Stimme herumgespielt und mit Not Afraid einen der grössten Hits des Jahres 2010 gesanglich untermauert.

Trotz dieser ungleichen Ausprägung seiner Talente zeichnet ihn eine Variabilität aus, die ihresgleichen sucht. Andere Rapgrössen haben ihre Nischen: Kendrick ist conscious, Busta Rhymes ist schnell, Yelawolf hat Country-Rap gross gemacht. Eminem hingegen fabrizierte Hits für jede erdenkliche Stimmungslage in nahezu jedem Subgenre im Rap. Sei es Amityville-crazy, White-America-politisch oder aber Kim-emotional.

Seine grösste Stärke

Punkten kann Eminem aber ganz klar bei der Lyrik. Reime rückt er sich zurecht, indem er Wörter speziell betont. Das Resultat sind Lines wie «Well if you want Shady, this is what I’ll give ya/A little bit of weed mixed with some hard liquor/Some vodka that’ll jumpstart my heart quicker/Then a shot when I get shocked at the hospital» auf Without Me. Die Reime kommen unerwartet, sind an Kreativität kaum zu überbieten und unmöglich zu rezyklieren.

Auf Stay Wide Awake reimt er während eines ganzen Verses das gleiche fünfzehn-silbige Reimmuster, während er erzählt, wie jemand misshandelt und umgebracht wird. Natürlich ist das krank und inhaltlich muss man sich davon distanzieren, aber von der Rap-Nerd-Seite betrachtet ist die Strophe eine Meisterleistung.

Wenn er will, kann Eminem das Rappen aber auch ganz leicht erscheinen lassen. So hört sich der gesamte Text von Stan wie ein tatsächlicher Brief an, in dem ein Fan sein Herz ausschüttet. An keiner Stelle fällt der Redefluss der Reimstruktur zum Opfer, alles klingt flüssig und effortless. Dabei erzählt Em die Story brutal direkt, unverblümt und kompromisslos. Anstatt Metaphern zu suchen, nennt er die Dinge beim Namen, was den Inhalt nur noch eindrucksvoller macht. Beim Spagat zwischen Storytelling und technischer Qualität glänzt Em wie Jean Claude Van Damme in der Volvo-Werbung.

Bild: Volvo Trucks / Youtube

Ein treuer Begleiter

Einer der wichtigsten Faktoren, weshalb ich nach wie vor ein Stan bin, ist ein ganz subjektiver: Eminem war für mich immer irgendwie «ume». Er ist der Künstler, der mich schon am längsten so intensiv begleitet. Andere Artists feiere ich kurzfristig vielleicht mehr, aber Em war während Jahren meine Nummer eins. Er war da, als ich mit Freunden auf dem Sportplatz «9 Mönet» spielte. Er war da, als ich in WoW mit meinem Untoten Schurken Azeroth erkundete. Er war da, als wir am See die ersten Jibits bauten. Er war da, als ich im Reisecar bei Nacht in die Ferien nach Italien fuhr. Er ist der Grund, weshalb ich fast festgenommen wurde, als ich als Siebzehnjähriger – mit der ID meines schon volljährigen Kollegen in der einen und zwei Joints in der anderen Hosentasche – von Pariser Gendarmes gefilzt wurde, weil ich für ein Eminem-Konzert die Schule geschwänzt und dahin gereist war. Mit Em verbinde ich nicht nur Musik, sondern eine ganze Palette an Gefühlen.

Es gäbe noch tausende weitere Gründe, die Eminem zu meiner unumstrittenen Nummer eins machen. Dafür mögen mich einige für ahnungslos, verblendet oder hängengeblieben halten. Doch das ist ok, denn schlussendlich ist Rap grösstenteils Geschmackssache. Was bei mir Eminem ist, sind bei anderen vielleicht Mobb Deep, Jedi Mind Tricks oder Kendrick Lamar.

Wer ist dein persönlicher GOAT? Ich würde mich über ein paar spannende Diskussionen in den Kommentaren freuen.

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