Alte Doku: So wurde der «Skater vs. HipHopper»-Konflikt 2005 dokumentiert
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2020

Fund aus dem SRF-Archiv - mit einigen Unzulänglichkeiten

Alte Doku: So wurde der «Skater vs. HipHopper»-Konflikt 2005 dokumentiert

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2020

Fund aus dem SRF-Archiv - mit einigen Unzulänglichkeiten

Alte Doku: So wurde der «Skater vs. HipHopper»-Konflikt 2005 dokumentiert

Yosina Koster
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Alte Doku: So wurde der «Skater vs. HipHopper»-Konflikt 2005 dokumentiert
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Quelle: YouTube - «Jugendgewalt zwischen Jugendlichen aus der Schweiz und dem Balkan in Wetzikon»
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«Skater oder HipHopper?» lautet die Frage, die die Jugendlichen rund ums Jahr 2005 beschäftigt. Das SRF hat diese Jugendkulturen in einem Film eindrücklich festgehalten. Doch in seiner Versteifung auf die Themen «Skate vs. HipHop» und «Ausländer*innen vs. Schweizer*innen» ist ihm ein wichtiger Aspekt entgangen: der Klassismus, der den Konflikt in Wetzikon wohl mehr prägt, als man zugeben möchte.

Vor rund einem Jahr veröffentlichte der YouTube-Kanal «SRF Archiv» die 2005 erschienene Reportage «Jugendgewalt zwischen Jugendlichen aus der Schweiz und dem Balkan in Wetzikon». In diesem eindrücklich dokumentierten Film wird die Jugendszene in Wetzikon beobachtet. Den Kids werden dafür Kameras gegeben, um ihre eigene Perspektive filmen zu können und das SRF sucht Gespräche mit den Jugendlichen, Eltern, Lehrpersonen und Sozialarbeiter*innen.

«Die Fronten sind verhärtet, man streitet sich erbittert»

Alles in allem ein sehr gelungener Film, der den Einen oder Anderen bestimmt melancholisch stimmt. Musik von 50 Cent, bauchfreie Tops mit winzigen Handtaschen, stachelige Gel-Frisuren – ach, die 0er-Jahre, eine gute Zeit. Doch es tobt auch ein Krieg der Kulturen. Alle, die in der Zeit um das Jahr 2005 jugendlich sind, kommen nicht um die Frage herum: «Skater oder HipHopper?»

Vereint und geteilt durch die Musik

Diese Frage behandelt auch der SRF-Film. In Wetzikon spaltet sich die Jugend gerade in diese beiden Lager. Auf der einen Seite: Skater*innen, die ans Gymnasium gehen, Schweizer Hintergrund haben und aus den Einfamilienhäuschen der Agglo kommen. Auf der anderen Seite: HipHopper*innen, die in die Sek gehen, Migrationshintergrund haben und gerade eine Lehrstelle suchen. Die Fronten sind verhärtet, man streitet sich erbittert darüber, wer im Jugendkulturzentrum wie viel zu sagen hat, wer an welchen Partys eingeladen ist, wer an den Konflikten Schuld ist und wessen Schuhe «schwul» sind. Den Begriff «schwul» als Beleidigung benutzen? Das ist ja so 2003. Und homophob.

«Niemand spricht an, was die Jugendlichen eigentlich unterscheidet. Es ist nicht die Musik, nicht ihre Herkunft und nicht ihr Bildungsgrad»

Die Rolle der Musik ist dabei sowohl teilend als auch verbindend. Einerseits teilt die Unterscheidung «HipHop» und «Skate» die Jugendlichen klar in zwei Lager, andererseits sind sie durch die Musik genauso vereint: Die Lieblingsevents beider Gruppen scheinen Partys zu sein, auf denen viel getanzt wird. An einem Konzert performen sie ihre eigene Musik und die jungen Kids beatboxen in die Kamera. Und obwohl die Skater*innen hier und da «Punks» genannt werden, sind diese munter dabei, rappen am Konzert oder breaken auf der HipHop-Party der HipHopper*innen. Zugegeben, die Lines des einen jungen Skaters unterscheiden sich ziemlich vom Fifty-Grind der HipHopper*innen, aber er rappt von Zusammenhalt und Toleranz.

Wer spricht an, was die Jugendlichen eigentlich unterscheidet?

Dem SRF ist in seiner Analyse der Situation jedoch etwas entgangen. Nein, es ist nicht die Tatsache, dass zehn Jahre später selbstverständlich ist, dass Skaten und HipHop zusammengehören. Das haben wohl die Wenigsten kommen sehen. Es geht darum, dass niemand anspricht, was die Jugendlichen eigentlich unterscheidet. Es ist nicht die Musik, nicht ihre Herkunft und auch nicht ihr Bildungsgrad – obwohl einer der Schweizer Väter die Kids gerne anhand dieses Merkmals unterscheidet. Es ist die soziale Schicht. Bildung und Musik sind nur Symptome dieser Ursache. Kulturelle Unterschiede und Integration mögen zwar ein Faktor sein, der das Zusammenleben der Kids erschwert, allerdings ist es mit dieser Erklärung längst nicht getan.

Der Fokus wird auffällig unterschiedlich gelegt

Sehr eindrücklich wird dies in der Szene verdeutlicht, in der sich die Eltern der Jugendlichen zusammensetzen, um die Lage zu besprechen. Ein albanischer Vater wird gefragt, ob er denn nichts vom Ärger mitbekommen habe. Nachdem viele (Schweizer) Anwesende ungläubig auf seine Verneinung reagieren, spricht er das Thema an, um das sonst ein grosser Bogen gemacht wird: die Bedingungen der sozialen Schicht. Der Vater erklärt, dass er seinen Sohn am Abend schon frage, ob alles gut sei, für mehr reiche es aber nicht. Er arbeitet den ganzen Tag, kommt nach Hause, schläft und geht wieder arbeiten. Zusammengefasst: das Leben der Arbeiterklasse.

«Während die Skater*innen beim Skaten und Rappen gefilmt werden, steht bei den HipHopper*innen die Lehrstellensuche im Vordergrund»

Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Reportage zwar stark vom Denken in sozialen Schichten geprägt ist, dieses jedoch nicht konfrontiert. Während die Skater*innen beim Skaten und Rappen gefilmt werden, steht bei den HipHopper*innen die Lehrstellensuche im Vordergrund. Es sind auch nur sie, die nach ihrer beruflichen Zukunft und Arbeitsmoral gefragt werden. Kids wie Ljavtim oder Azdren antworten im Interview brav, dass Arbeit wichtig sei und man schon eine gute Lehre machen müsse. Ein Thema, das bei den Skater*innen nicht ansatzweise angesprochen wird.

Zusammenhänge werden nicht erkannt

Zwar merkt die kommentierende Stimme an, dass es für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund wohl wichtiger sei, einen Raum ausserhalb von den eigenen, einengenden Wohnverhältnissen zu haben und dass das Jugendzentrum für sie deshalb eine elementare Rolle einnehme. Leider wird aber nicht der Zusammenhang zu einer vorherigen Szene gesehen, in der die Polizei bei genau diesen Jugendlichen Ausweiskontrollen durchführt und sie von einem öffentlichen Platz wegschickt, ohne dass etwas vorgefallen ist.

«Wer in Wetzikon hat die Kapazität, sich über lungernde Teenager*innen zu echauffieren?»

Hier wird kommentiert, dass die örtliche Polizei die Sorgen von «manchen Bürgern» kenne und so wird suggeriert, dass die Polizisten aufgrund dieser Sorgen handeln würden. Wer «manche» Bürger*innen sind, die mit ihrer Sorge über die Nutzung des öffentlichen Raumes bestimmen können, wäre hier eine angebrachte Frage, die aber nicht gestellt wird. Wer in Wetzikon hat die Kapazität, sich über lungernde Teenager*innen zu echauffieren? Es werden kaum die Eltern sein, die von früh bis spät arbeiten. Dieses Verjagen aus dem öffentlichen Raum ist ein weiterer Grund, weshalb diese Jugendlichen erst recht auf Angebote wie das bereits erwähnte Jugendkulturzentrum angewiesen sind.

Wer sind die musikalischen Vorbilder - und warum?

Auch in der Musik fällt der Denkfehler auf: Der Kommentator meint, bei den HipHopper*innen seien es nicht die Westernfilme, die sie begeistern, sondern die Musikvideos mit «Gangster Raps, willigen Weibern und schnellen Schlitten». Es wird überhaupt nicht thematisiert, dass es noch einen weiteren Faktor geben könnte, der in diesen Kids aus Wetzikon eine Verbundenheit mit Gangster Rap auslöst: den ähnlichen Hintergrund.

«Wie die Jugendlichen selbst kommen ihre musikalischen Vorbilder von der Strasse, von unten.»

Zwar müssen US-Gangster Rapper wie Fifty nicht mit der Stigmatisierung als Mensch mit Migrationshintergrund zurechtkommen, wohl aber mit  der Stigmatisierung aufgrund der Hautfarbe. Wie die Jugendlichen selbst kommen ihre musikalischen Vorbilder von der Strasse, von unten. Sie kennen den Struggle, sie sind real. Natürlich erkennen sich diese Kids aus Wetzikon, deren Väter von früh bis spät arbeiten müssen und die ohne Lehrstelle perspektivlos sind, in diesen Musiker*innen wieder.

«Während einer der Skater*innen ganz ernst sagt, der Konflikt unter den Jugendlichen sei wie ein Krieg, spielt im örtlichen Fussballclub ein Jugendlicher, der von einer Granate getroffen wurde - im richtigen Krieg»

Einer der Skater meint leicht spöttisch, er wisse auch nicht wieso die HipHopper*innen immer Musik «aus dem Ghetto» hören und dass sie wohl meinen würden, dass Wetzikon auch ein Ghetto sei. Doch genau das ist der Fall. Die HipHop-Kids befinden sich durch ihre soziale Schicht, ökonomische Chancenungleichheit und Stigmatisierung als Ausländer*innen in einem Struggle, einem Überlebenskampf, den die wohlbehütet aufgewachsenen Gymi-Skater*innen nicht nachvollziehen können. Müssen sie auch nicht, denn sie sind Jugendliche. Das SRF aber hätte diese Thematik aufgreifen können.

«Skater oder HipHopper?» wurde geklärt, die wichtigen Fragen bleiben

Während also einer der Skater auf der Bühne den Fatoni gibt, indem er «Kumbaya»- und «Mini Farb und Dini»-mässige Weltverbesserer-Lines von sich gibt, hören die HipHopper*innen lieber Musik von denjenigen, die geschafft haben, was auch sie sich erhoffen. Von denjenigen, die dem Struggle entkomen sind.
Während einer der Skater*innen ganz ernst sagt, der Konflikt unter den Jugendlichen sei wie Krieg, spielt im örtlichen Fussballclub ein Jugendlicher, der von einer Granate getroffen wurde – im richtigen Krieg.

«Die Frage «Skater oder HipHopper?» dürfte heute obsolet sein, soziale Ungleichheit ist nach wie vor aktuell»

Letztlich ist es ein unscheinbares Mädchen aus der HipHop-Fraktion, die die Problematik der sozialen Ungleichheit auf den Punkt bringt: «Die Reichen werden immer reicher und die Armen werden immer ärmer.» Natürlich geht es nicht darum, den Skater mit den Weltverbesserer-Lines zu diskreditieren. Damit verkörpert er schliesslich auch die Werte von HipHop und der Text selbst ist eine schöne Geste. Man kann von den Jugendlichen auch nicht erwarten, dieses komplexe Zusammenspiel von Klassismus, Diskriminierung und dem Trauma, das Familien erleiden, die aus ihrer Heimat flüchten mussten, zu verstehen. Es wäre aber wichtig, dass solche Aspekte in einer intensiven Reportage des SRF beleuchtet werden, um einen konstruktiven Dialog zu ermöglichen. Denn die Frage «Skater oder HipHopper?» dürfte heute obsolet sein, soziale Ungleichheit ist nach wie vor aktuell. Auch heute müssen Jugendliche mit unterschiedlichen sozialen Ausgangslagen miteinander auskommen, Sensibilität erlernen und Verständnis haben. Je grösser die Schere zwischen Arm und Reich wird, desto wichtiger wird das. Und eine solche Reportage könnte ein Anfang sein.

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