«Stilmittel Diskriminierung»? Was hinter den Provokationen der 42 Buebe steckt
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Landjugend, die Bedeutungslosigkeit von Worten & Cancel Culture

«Stilmittel Diskriminierung»? Was hinter den Provokationen der 42 Buebe steckt

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2021

Landjugend, die Bedeutungslosigkeit von Worten & Cancel Culture

«Stilmittel Diskriminierung»? Was hinter den Provokationen der 42 Buebe steckt

Damian Steffen
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«Stilmittel Diskriminierung»? Was hinter den Provokationen der 42 Buebe steckt
Quelle:
Serafin Gerber
Sie sagen, was sie wollen – ohne Rücksicht auf Political Correctness. Die Tracks der 42 Buebe sind wie Stammtisch-Geprahle im Drogenrausch. Dennoch gehören die Jungs aus dem Schwarzbubenland zum Interessantesten, was Schweizer Rap zu bieten hat.

Wir befinden uns im Jahr 2020 n. Chr., einem Jahr in dem heiss über die deutsche Sprache diskutiert wird. Sogar das ewige Sorgenkind Rap zeigt sich einsichtig. Künstler*innen werden für diskriminierendes Verhalten gerügt und zur Rechenschaft gezogen… Ganz Rap? Nein! Im Basler Laufental scheint sich ein Künstlerkollektiv nicht um politische Korrektheit zu scheren. Hier sind Frauen noch «Bäbis», «behindert» ist ein normales Schimpfwort, «Mohrenkopf» ist ein geläufiger Begriff. Die 42 Buebe deswegen gleich als verachtenswerte Primitivlinge abzustempeln, wäre aber vorschnell. Schliesslich wurde die Clique bereits in Szene-Medien wie der Noisey gefeatured und auch auf den Soundcloud-Profilen der Künstler lassen sich keine anprangernden Kommentare finden. Umso mehr interessiert, wie die Texte denn nun zu verstehen sind. Stossen sich nur diejenigen an den Begrifflichkeiten, welche das Konzept hinter dem Kollektiv nicht kennen? Ein Gespräch soll Klarheit schaffen.

Den ganzen Bedenken steht das musikalische Gespür der Buebe gegenüber: Mit «Fiqq Br1mush» und «Br1mush gegä Shlüssldiänshd» hat Pr1mus mit seinem Team um Sankt Gucci, Zuckerpapi, Dorothé Schmidli und Hausproduzent Klinge im vergangenen Jahr etwas geschaffen, an dem viele Rapper hierzulande scheitern: ein eigenes, innovatives Soundbild zu kreieren. In den vergangenen vier Jahren hat sich der «Fendibuureverein» im 6’000-Seelendorf Laufen eine eigene Welt erschaffen: die asoziale Avantgarde. Büetzer-Ästhetik trifft auf Highfashion-Aufzug. Die 42 Buebe stehen für urchige Traditionen, Herzschmerz und Heimatliebe. Dem gegenüber stehen Rauschmittel-Exzesse, ihr politisch unkorrekter Jargon und fortschrittliche Sound-Entwürfe. Wie diese Widersprüche miteinander koexistieren können, warum ihre Texte missverstanden werden und warum CH-Rap Dreck sei, erklären die 42 Buebe beim Interview im verschneiten Nunningen. Wie die die anwesenden Pr1mus, Sankt Gucci, Dorothé Schmidli und Klinge berichten, fehle der Fünfte im Bunde: Zuckerpapi absolviere gerade eine Gabelstaplerprüfung im Prättigau.

Ihr Spiel mit dem Unkonventionellen verschaffte ihnen auf SoundCloud erstmalig Gehör: Dorothé Schmidli & Pr1mus [Foto: Serafin Gerber]
«Unser Humor ist entweder der Zeit voraus oder hinterher.»

Die 42 Buebe sind auch nach jahrelangem Output noch im Rap-Underground: Was macht euren Style aus?

Pr1mus: Es geht einfach darum, zu demonstrieren, dass die Dorfjugend besser ist als die städtische (lacht). Modernes mit Urchigem verbinden. Wir nehmen den Ansatz, den vor uns noch keiner gewählt hat. Es gibt schon genug Schweizer Soundcloud-Rapper, die einfach nur 1:1-Kopien von Bladee sind.
Dorothé Schmidli: Wir beschäftigen uns auch mit der Ästhetik von skurrilen Worten und deren Verbindung miteinander.
Sankt Gucci: Weiter noch: Wir sagen ganz epochal, dass Wörter keine Bedeutung mehr haben. Sie haben keinen Inhalt mehr.
Klinge: Wörter dienen nur noch als Farbe, die auf die Leinwand aufgetragen wird.

Naja, faktisch gesehen, ist das nicht richtig. Was sagt ihr den Menschen, die Worten noch Bedeutung schenken?

Pr1mus: Die sollen zuerst die Primarschule abschliessen…
Dorothé Schmidli: Sie empfangen die Worte immer noch auf moralischer Ebene. Wir sind weiter und verwenden diese in anderen Kontexten. Unser Humor ist entweder der Zeit voraus oder hinterher – aber wir sind nicht auf dem gleichen Level wie die breite Masse.
Klinge: Es ist die erste Evolutionsstufe: Da müssen alle mal durch.
Pr1mus: Es ist quasi die dritte deutsche Lautverschiebung.

«Wir sind die modernen Bliggs und Göläs für die Jugend.»

«Ich habe auch so viele dumme Sätze im Kopf, Musik ist einfach ein Weg, um das auszuleben»: Das hat Pr1mus im ersten LYRICS-Interview 2018 auf die Frage geantwortet, was der Antrieb zur Kunst sei. Hat sich seither etwas geändert?

Den ganzen Artikel: «Die alternative Welle der Schweiz: Ein frischer, experimenteller Independent-Wind» gibt’s hier nachzulesen.

Pr1mus: Nein, meine Verses sind nach wie vor die Zeichnung eines abstrakten Bildes. Ich nehme Wörter, die mir gefallen, und ich setze sie in einen Kontext – ohne viel darüber nachzudenken. Mein Anspruch: Es muss einfach phonetisch und syntaktisch schön klingen

Pr1mus [Foto: Serafin Gerber]

Also hat eure Musik keinen Inhalt?

Sankt Gucci: Es ist mehr als sinnloses Aneinanderreihen von Worten. Es ist aber auch nichts, was leicht zu entziffern wäre: Unsere Musik ist da und wir geben den Hörer*innen die Chance, etwas daraus zu machen.

«Behindert», «Spasst», «Nutte», usw.: Ihr provoziert gerne mit derber Sprache und problematischen Begriffen. Habt ihr Angst, eine «falsche Zielgruppe» anzusprechen?

Sankt Gucci: Es gibt keine falschen Leute. Leute sind richtig… Es ist richtig, dass es Leute gibt. Warum sollte jemand falsch sein?

Auch ohne Heiligsprechung heilig: Sankt Gucci (links)

Ihr wärt also down damit, wenn an der Hauptversammlung rechter Parteien eure Musik gepumpt wird?

Sankt Gucci: Wir leben im 21. Jahrhundert und diese Leute haben auch Internet…

Wer eure Musik hören will, soll sie hören?

Sankt Gucci: Das ist die freie Entscheidung eines jeden. Darauf haben wir keinen Einfluss.

Ihr könnt das schon mit den Inhalten lenken…

Sankt Gucci: Wir haben keine Zielgruppe, wir haben keine Angst – und es gibt keine falschen Leute.
Dorothé: Wir entziehen uns der Verantwortung. Ein Lied wird  zum öffentlichen Gut.
Klinge: Dieses Problem haben viele Künstler. Bruce Springsteens «Born in the U.S.A.» wurde auch von Trump-Wähler*innen instrumentalisiert – obwohl Springsteen Biden unterstützte. Bruce wollte einfach ein patriotisches Lied machen. Alles kann aus dem Kontext gerissen werden.
Pr1mus: Und wer uns verfolgt, merkt rasch, dass man unsere Texte nicht wörtlich nehmen darf - und auch nicht kann. Dafür gibt es zu viele Widersprüche in der Musik…
Sankt Gucci: Und wenn sogar die PNOS das begreifen würde, würde ich die sogar wählen (lacht). Dann wäre das die fortschrittlichste Partei der Schweiz. Aber «figg d PNOS, alte».

«I bi dümmer als e Mitglied vo de PNOS»: Auf Pr1mus’ neustem Projekt kann sogar ein vager Hinweis auf die politische Gesinnung der 42 Buebe gefunden werden.

Cancel-Culture ist eines der Buzz-Words aus 2020: Was denkt ihr über dieses Movement?

Sankt Gucci: Das ist noch etwas, was mir auf die Nerven geht: Alle machen online immer die kleinste Mücke zum Politikum. Geht an die Gemeindeversammlung. Dort könnt ihr etwas verändern. Ihr müsst euch nicht auf «Zwitscher» als Polizei aufspielen. Es gehen zu wenige Leute stimmen. Nehmt eure politischen Rechte wahr, wo diese existieren. Online-Pranger bringen niemanden weiter.

«Unsere grösste Provokation ist, den Hörern das Gefühl zugeben, sie könnten unsere Texte verstehen.»

Sind die 42 Buebe eigentlich politisch?

Klinge, Sankt Gucci, Dorothé einstimmig: Nein, überhaupt nicht.

Trotzdem lasst ihr euch immer wieder zu Takes zu politisch aufgeladenen Diskussionen hinreissen. Wie auf «Proheterophobs Komitée Laufetal» beispielsweise…

Sankt Gucci: Warum politisch?

Ist es keine Kritik gegen toxische Verhaltensmuster von Männern und Heteronormativität?

Sankt Gucci: So viel habe ich in diesem Lied nie gesehen. Aber das ist das Schöne an unseren Songs: Sie sind ein Spiegel für den Hörer. Jeder interpretiert sie selber.
Dorothé: Vielleicht machen unsere Songs Politik – aber ohne uns. «Proheterophobs Komitée Laufetal» ist einfach ein skurriler Begriff. Wir spielen einfach mit der Ästhetik.
Sankt Gucci: Unsere grösste Provokation ist, den Hörer*innen das Gefühl zu geben, sie könnten unsere Texte verstehen. Erst wenn sie so weit sind, dass sie die Musik feiern können, ohne den Worten Bedeutung zu schenken, sind sie den Schritt gegangen, welchen wir bereits vor Jahren gemacht haben.

«Wir können nicht sexistisch sein, wir hassen uns selber.»

Zur Mohrenkopf-Debatte: Diese Provokation war dennoch politisch sehr aufgeladen. Ihr habt genau zur Hochphase der Diskussion den Track «Othmar Richterich» veröffentlicht, ein Bekenntnis zur Verwendung dieses Wortes.

Dorothé: Dieses Lied entstand, bevor die Debatte medial aufgegriffen worden ist. Wir hatten keine politische Intention dahinter.
Pr1mus: Bei uns hat dieses Wort halt eine ganz andere Bedeutung. Es ist weder verwerflich, noch ist es böse gemeint. Laufener sind im Volksmund die Mohren. Die Bedeutung geht auf die veraltete Bezeichnung für Wildsäue zurück. Mohrenköpfe von Richterich kommen aus Laufen. Bei uns ist es legitim, diesen Begriff zu verwenden. Der Begriff hat aber 2020 ausserhalb vom Laufenthal nichts verloren - dort ist dieser nämlich, im Gegensatz zu hier, ganz klar rassistisch konnotiert.

«Wer rassistische Begriffe benutzt, ist einfach eine Missgeburt.»

Sankt Gucci: Der Song ist aber keine stumpfe Provokation: Es ist ein Thema aus dem Laufental. Othmar Richterich war die wohl bedeutendste Persönlichkeit aus dem Tal – neben der Ricola-Richterich-Familie. Es ist ein lokales Ding: Hier geniessen Mohrenköpfe einen enormen Stellenwert - und wir bedienen uns an den lokalen Geschichten. Abschliessend sagen wir: Wer rassistische Begriffe benutzt ist einfach eine Missgeburt. Wir sollten aber auch darüberstehen. Ich meine: Wir sind in 2020 nicht mehr hier, um über Sachen zu debattieren, die jeder schon begriffen haben sollte.

… dennoch ist eure sexistische und behindertenfeindliche Wortwahl offen diskriminierend.

Pr1mus: Wir können nicht sexistisch sein, wir hassen uns selber.

«Dini Fründin isch behindret und dis Gsicht ischs no viel meh»: Pr1mus auf «Willkomme idr Logopädie»

Schon jemals Kritik eingesteckt?

Sankt Gucci: Kritik ist super: «I figg drmit». Euer Hass macht mich stark. Pr1mus: Aber nein, unsere Inhalte wurden noch nie kritisiert.

«Als Schweizer Rapper sollte man sich schlussendlich auch für nichts zu schade sein, weil man einfach Dreck ist.»

Für wen macht ihr überhaupt Musik?

Pr1mus: Wir repräsentieren die Landjugend…
Klinge: Für wen sollten wir sonst ein Ghetto erfinden, welches es nicht gibt und dann übers Steine schieben rappen?

Aus ihrer Liebe zum multitoxischen Substanzgebrauch haben die 42 Buebe noch nie einen Hehl gemacht:

Pr1mus: Man muss sich seine Nische suchen. Es gibt schon genug Soundcloud-Rapper, die über Lean und «Shawties» reden. Alle machen auf Atlanta, obwohl es in der Schweiz genug geile Sachen gibt. Wir sind die modernen Bliggs und Göläs für die Jugend.
Sankt Gucci: Kurz: Wir machen Musik für uns – und Menschen, die wie wir sind.

«Snus-Papst», Rapper & Hausproduzent: Klinge

Während sich gefühlt halb CH-Rap in Stories markiert und jeden Post mit Flammen-Emojis kommentiert, bleibt es um die 42 Buebe still: keine Features, keine Connections in die Szene… Wollt ihr überhaupt, dass eure Hörerschaft wächst?

Sankt Gucci: Die Menschen, die uns hören, sollen definitiv wachsen: wachsen als Person, energetischer werden, ein grösseres Herz bekommen, etc.
Pr1mus: Ich denke, dass unser Wachstum stagniert ist, lag mitunter auch an der Qualität des Soundengineerings. Deshalb haben wir uns dahingehend verbessert. Wir hatten beispielsweise mal einen kleinen Fasnachts-Hit, aber das Mastering war zu schwach...
Sankt Gucci: Angenommen, wir hätten zu dieser Zeit richtig Gas gegeben, dann wären wir heute so gross wie Luca Hänni.

Die 42er stecken sich keine Genregrenzen: Auch für stumpfe Ländlereinschläge sind sie sich nicht zu schade.

Ihr habt eure ganz eigene Ästhetik etabliert. Das dürfte in der Rap-Schweiz anecken, oder?

Dorothé: Wir machen weiterhin keine Konzessionen zugunsten der Zuhörer*innen.
Pr1mus: Als Schweizer Rapper sollte man sich schlussendlich auch für nichts zu schade sein, weil man einfach Dreck ist. (grinst)
Sankt Gucci: Darum werden wir bald umsteigen auf Schlager, Ländler, harten Techno oder Goa.
Pr1mus: Es ist schon das Ziel, dieses Trap-Ding demnächst zu verlassen.

«Figg uf Trap, will ändlich nur no Ländler mache»: Pr1mus auf «Shizo»

Ihr habt vielfältige Einflüsse. Von welchen Künstler*innen holt ihr eure Inspiration?

Pr1mus: Von Gölä, Francine Jordi, DJ Antoine, von meinem Grossvater… Meine Mutter war mal im gemischten Chor.
Sankt Gucci: Patent Ochsner und Stiller Has. Die hat man früher auch noch nicht verstanden. Die waren so, wie wir jetzt sind. Die Menschen sind noch nicht bereit. Aber unser grösster Einfluss: die Schweiz - in all ihrer Komplexität und mit all ihren Widersprüchen.

Pr1mus rappt: «Schatte uf alli wo a Schwiz-Rap glaube, das Lied do isch de Bewiis, dass das nüt isch…» Woher kommt die tiefe Ablehnung gegen die Szene?

Pr1mus: Sie ist nicht innovativ und hat nichts Eigenes. Jeder versucht etwas zu sein, was er nicht ist.
Klinge: Und diese Rapper haben das Gefühl, den begrenzten Markt abschöpfen zu können mit 1:1-Kopien von erfolgreichem Sound – anstatt etwas Eigenständiges zu kreieren.
Pr1mus: Es ist uns auch klar, dass viele in diesem Land besser rappen können als wir. Aber darauf kommt es nicht an…
Sankt Gucci: Es geht nicht darum, etwas gut zu machen, es geht darum, das Richtige zu machen.

Die 42 Buebe haben Twitter als ihr Hauptkommunikationsmittel etabliert.

Warum macht ihr Rap, wenn ihr alles daran hasst?

Sankt Gucci: Es ist einfach das Medium unserer Zeit. Wer im 18. Jahrhundert aufgewachsen ist, hat Ländler gemacht. Heute macht man Trap.

«Figg Lütt i de Schwiz, da si fasch alli Scheisse, mi nid usgschlosse»: Was stört euch am meisten an der Schweiz?

Pr1mus: Die Jugend… alles «ufblaseni Sieche». Wenn du in einen Club gehst, hat jeder das Gefühl, er sei der Geilste, weil er rumläuft wie Playboi Carti…

Gibt es denn eurer Meinung nach Lichtblicke im Schweizer Rap-Nachwuchs?

Pr1mus: Es gibt sicher talentierte Künstler, aber mir kommt gerade niemand in den Sinn. Sagen wir es so: Es ist immer gut, wenn jemand etwas macht, weil etwas zu machen immer gut ist. Aber wir haben nicht gerade Lust, mit jemandem zusammenzuarbeiten…

Um die Lesbarkeit des Interviews nicht zu beeinträchtigen, werden alle während des Gesprächs getätigten «Usrüef» (Shoutouts) hier alphabetisch aufgeführt: Andrew Bond, Baba Usländer, Beni Huggel, Endo Anaconda, Geschwindigkeitsbälle, Gimma, Haftbefehl, J. Balvin, jesus.nr1, Linard Bardill, Soldi & Stärneföifi.

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