Wie bereits im ersten Teil unserer Artikel-Serie, muss betont werden, dass es sich um persönliche Meinungen von Lucien handelt, keine Diagnosen. Die Analysen zu Tommy Vercettis «Briäf a Misäuber (Bern)» und Gimmas «Eh nid ewig» findest du hier.
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Experte: Lucien Dunkelberg
Alter: 31
Studiengang: Studium der Psychologie seit 2015
Spezielles: YouTube-Kanal seit 2017 mit psychologischen Analysen u.a. von Rappern
«Wär verstaht scho d Wäut? Wo genau si ächt isch, wo dass gfäuscht wird, Wer di warnt, dir d Hand gid voreme Fäutritt, Was wohr isch, weles Lache es Clowngsicht.»
Lucien: Der erste Verse von Manillio ist geprägt von Unsicherheit. Wem kann ich trauen, wer hintergeht mich? Eine solche Interpretation der Umwelt kann entstehen, wenn man immer wieder in Beziehungen – auch zu Freunden – enttäuscht worden ist, und sich deshalb vor weiteren solchen Erlebnissen schützen will. Dies findet seinen Höhepunkt schlussendlich darin, ein kugelsicheres Herz zu tragen, das zwar nicht mehr verletzt werden kann, jedoch durch den Schutz auch keine Liebe mehr zulässt.
«Wedi öppis trifft, Ooh wedi öppis trifft / Merksch, dass du no brönnsch u nid scho gfrore bisch.U di wärmi isch dr Grund werum ds stercher bisch / Es Härz isch nur es Härz solangs no offe isch / U si chöi uf di - uf di ziile, ziile, ziile / Lah die Angst nie ine, ine, ine - nei!»
Lucien: Beim Refrain von Leduc zeigt sich ein ähnliches Thema, aber mit einer anderen Herangehensweise. Er interpretiert das Verletzende als dem Leben zugehörig und sieht es als positiv. Man kann sich selber auch dadurch spüren. Das ist für ihn vermutlich ein Zeichen fürs «Im-Leben-Stehen». Er zeigt auch schon Anzeichen eines Umgangs mit den Verletzungen: Sie (die «Feinde») können auf das Herz zielen, aber man soll die Angst nicht übernehmen. Im Kontrast zu Manillios Abschnitt sehe ich hier deutlich, dass Leduc’s Erleben flexibler ist. Manillio schottet sich durch die grosse Angst stark ab.
«Wie wottme öppis gseh weme nie usem Fenster lehnt? / Abr machsch e Mucks do, rote si der zruggzstoh»
Lucien: Im zweiten Verse von Manillio wird deutlich Bezug genommen auf Themen des Über-Ichs. Dieses beinhaltet moralische Vorstellungen, Gebote und Verbote, Ratschläge und Richtungen. Einerseits soll der Professor ihn zu kritischem Denken verleiten, tut er es aber, «machsch e Mucks», wird er zurechtgewiesen. Dies ist ein klassischer innerpsychischer Konflikt: Man will seinem Bedürfnis nach Veränderung oder Bewegung nachkommen, sieht aber schon den mahnenden Finger, der als Konsequenz folgen wird.
«Wer nid gloubt dass d Zuekunft guet chund, trinkt sech se rot»
Lucien: Thema Selbstmedikation. Leider ein beliebter Umgang mit unangenehmen Gefühlen, man trinkt so viel, um sie nicht mehr zu spüren. Für kurze Zeit kann das sinnvoll sein um Distanz zu allem zu gewinnen, auf Dauer ist jedoch der Preis zu hoch und man nutzt wichtige Entwicklungsschritte nicht, die durch Krisen ausgelöst werden und für die eigene Persönlichkeit sehr wichtig sind.
Lucien: Xen scheint jemand zu sein, der vermutlich oft ein Gefühl der Unzufriedenheit verspürt. Daraus schöpft er aber Energie, die für das Erreichen eines Ziels eingesetzt werden kann. Daraus könnte man ableiten, dass ihn Misserfolge oder Insuffizienzgefühle zur Lösungssuche anspornen und eher nicht in einen Teufelskreis von Stagnation und Hoffnungslosigkeit führen. Intuitiv würde ich sagen, dass der Luxus mit dem Anwesen und dem Geld ein vordergründiges Motiv ist, um damit Zuneigung und Akzeptanz bei engen Bezugspersonen zu erhalten.
«Alles het sich gchert. Lah sie will sie alli eh redet.»
Lucien: Hier zeigt sich jedoch eine gegenteilige Dynamik, was mir die Hypothese eröffnet, dass die grossen Wünsche auf wackeligen Beinen stehen und vom „Gerede“ anderer Menschen stark beeinflusst werden können. Anstatt diese Stimmen zu ignorieren, kann es sein, dass es ihm wichtig ist, was andere Menschen über ihn denken und er dadurch versucht, sich diesem Denken anzupassen. Das spricht wiederum für sein Anschlussmotiv, welches beinhaltet, dass ihm zwischenmenschliche Beziehungen wichtig sind. Auch scheint bei ihm das Thema „Wirkung auf andere Menschen“ wichtig zu sein – dies zeigt sich in den gesetzten Zielen mit dem riesigen Anwesen, sowie der Beeinflussbarkeit durch das Denken anderer.
«Min Vater isch mit eim chline Koffer cho. / Främdes Land eus ernährt mit eim Monatslohn.»
Lucien: Deutet auf eine schwierige Vergangenheit hin: Sich in einem Land niederzulassen, das man nicht kennt, bedeutet viele Anpassungsversuche machen zu müssen, was sich durchaus manchmal in Frustration oder Ohnmacht zeigen kann. Hier kann ich die Hypothese aufstellen, dass er nur wenig materielle Mittel zur Verfügung gehabt hatte, das als unbefriedigend wahrgenommen hat und es durch die hohen Ziele kompensieren will.
«Ich mach das klar, die Million Daddy holt din Sohn.»
Lucien: Sein Vater soll stolz auf ihn sein. Möglicherweise hat er gelernt, dass er die Wertschätzung und Zuneigung von ihm durch Leistung erhält.
«Du bechunnsch kei Lob und keis Dankeschön. / Drum bring ich de Song dass' min Vater ghört / Bald hocksch ufem Thron will dier alles ghört. / Und glaub mer, dass din Sohn das jede Abig schwört.»
Lucien: In diesen vier Zeilen ist sehr viel psychische Dynamik erkennbar. Einerseits löst das Ausbleiben von Lob und Dank vermutlich eine Art Enttäuschung oder Frustration aus, was dazu führt, dass er diese Gefühle mit unbedingter Macht kompensieren will: Auf dem Thron sitzt der König, der bestimmen kann und gleichzeitig gehört ihm alles. Der Besitz fusst auf Kontrolle und Macht – diese Bedürfnisse könnten bei seinen psychischen Erfahrungen immer wieder verletzt worden sein.
Alle Deutungen der Studenten beziehen sich nur auf den Textinhalt der Lieder. Es werden keine wirklichen Rückschlüsse auf den Menschen dahinter gezogen. Dies sind keine Diagnosen, da solche nicht aufgrund von Texten gestellt werden können. Es handelt sich um reine Interpretation von Lucien.