Name: Jürg Berthold, Dr. Prof.Jahrgang: 1963Werdegang: Studium der Germanistik, Philosophie und Vergleichender Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und in Bristol, GB. Promotion über Louis Althusser, Habilitation. Diplom für das Höhere Lehramt.Beruf: Deutsch- und Philosophielehrer. Prorektor an der Kantonsschule Uetikon am See, Titularprofessor für Philosophie an der Universität Zürich
Das ganze Stück glänzt durch seine klare Struktur, wobei der Refrain und die Hook zusammenfallen. Im Gegensatz zu den gerappten, rhythmisierten Strophen verkörpern sie einen melodischen Charakter.Die drei Strophen wirken atemlos, die Worte überschlagen sich, während in den Refrainpassagen wieder Zeit zum Nachdenken gegeben wird. Vergleichbar mit Verschnaufpausen, bevor der Song weiterdrängt.Es handelt sich bei diesem Song um freie Verse, wie man in einer traditionellen Begrifflichkeit sagen würde. Der Text ist reimlos, von einzelnen Binnenreimen abgesehen («Härzä» / «Cherzä»). Wichtig sind - auf der lautlichen Ebene - die Assonanzen, also der Gleichklang zwischen den Wörtern. Dabei spielt der im Berndeutschen typische Laut «ä» eine markante Rolle.Eine ganze Ansammlung rhetorischer Figuren, welche seit der Antike beschrieben werden, kommen im Song vor. Beispielsweise die «Anapher», also die Wortwiederholung zu Beginn aufeinanderfolgender Sätze. Dann der «Parallelismus», das heisst, dass der Satzbau auf semantisch-syntaktischer Ebene gleichmässig erfolgt. Zudem die «Personifikation», die Verkörperung. Dann natürlich die «Metapher», also die Verbildlichung… Und noch viele weitere.Ausdrucksstark sind die zahlreichen bildhaften Beispiele von Ausbeutungsverhältnissen in der ersten Strophe. Eine mögliche Rache für seit Jahrhunderten erlittenes Unrecht (vgl.: «Dr Riichtum us Jahrhundertä») bleibt imaginär. Die Strophe ist von grosser Anschaulichkeit und Konkretheit im Benennen von aktuellen gesellschaftlichen Problemen.In der zweiten Strophe wird ein Elend ganz anderer Art gezeichnet, wieder versehen mit starken Bildern: Das Dahindämmern in unseren gesättigten Gesellschaften und in den Vorstädten, wo man die Zeit totschlägt, Angst vor Aufbruch und Veränderung hat, sich mit Bier und Fernsehen abtötet.Wie auch in vielen traditionellen Gedichten lässt sich der Song als Thematisierung auf die Frage lesen, wie die Rolle der Kunst, hier des Rap, in der Gesellschaft angesehen wird. So heisst es in der dritten Strophe: «Wort si dini Pflasterstei…» Zum poetologischen Programm gehört auch die unmittelbar folgende Vorstellung, dass man als Poet sich selber sein müsse, um Anerkennung zu finden: «Bis nur einisch es bitz di säuber…»Hauptmotiv dieser wortgewaltigen Selbstinszenierung ist aber die Suche nach Sinn (vgl.: «Uf dr Suechi nach chli Sinn…»), die auch unmittelbar mit dem künstlerischen Selbstverständnis und dem Projekt eines Albums zusammengebracht wird.
Die lautliche Grundidee dieses Songs basiert auf der Assonanz von «Marathon gha» und «Maradona». Wieder finden sich ganz ähnliche Stilmittel wie beim Song «Di Vater». Zumindest, was den Gesamtaufbau betrifft. Also die Abwechslung von Refrain und Strophe, dass die Lyrik weitgehend reimlos verläuft, und was die rhetorischen Mittel betrifft.Wieder wird die Berndeutsche Endung auf «ä» für End – und Binnenreime eingesetzt, beispielsweise «Kurvä – Stuefä – Rundä». Mit der Vorstellung des Lebens als Marathon ist die Suche nach möglichen Aufputschmitteln verbunden. Von Zucker über Vitaminpulver, bis hin zu Drogen (vgl.: «Ds gieng nonid ohni Drogä»).Aber nicht nur das Leben, sondern auch die Nacht mit «Baby» sei ein reiner Marathon. Die gemeinsame Nacht, die nicht enden will, wird mit dem Jakobsweg verglichen. Er ist eigentlich schon in der Hälfte am Ende und möchte gehen… Zusammen gewinnen sie Gold, sie sind eins. Der Bezug zur Frau klingt auch als Assonanz in «Mara-Donna» an.
In den beiden Strophen wird variiert, was im Hook in der Metapher von Wasser und Schwimmen und «Sich-über-Wasser-halten» angetönt wird. In der Strophe heisst es: «Schwümm guet, schwümm guet, schwümm guet».Die einzelnen Zeilen verdichten sich dabei eher zu einer Stimmung, einem Gefühl, als zu einem einheitlichen Bild. Generell entsteht der Eindruck, dass die Gesamtkohärenz der Wirkung der einzelnen Zeile oder des einzelnen Reimes untergeordnet ist. Das ist für mich etwa in der Reimfolge «Nirvana/Drama/Dalai Lama/Lasa» der Fall.Dadurch wird die Wirkung und Nachhaltigkeit eines Songs in meinen Augen eher geschwächt – aber vielleicht verstehe ich vieles einfach auch nicht.
Der Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht unterscheidet in analytischer Hinsicht zwischen sogenannten Sinneffekten und Präsenzeffekten. Natürlich lassen sich diese Effekte nicht voneinander trennen, sie «oszillieren» (schwingen), wie Gumbrecht sagt. Erstere lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Bedeutung eines Textes, hier eines Songs. Zweitere beziehen sich auf die Art, wie etwas gesagt wird: Zum Beispiel auf den Rhythmus, die Reime oder die Assonanzen. Bei Knackeboul ist besonders schön sichtbar, wie wenig man gewinnt, wenn man sich nur auf die Sinn- und Bedeutungsebene konzentriert und diese von den anderen Effekten zu trennen versuchen würde.Einen anderen Ansatz könnte man mit dem Philosophen Gilles Deleuze beiziehen. Hier ein Zitat von ihm: «Es gibt zwei Arten, ein Buch zu lesen: entweder man betrachtet es als eine Schachtel, die auf ein Innen verweist. Und man wird kommentieren, interpretieren. Man schreibt – ad infinitum – das Buch des Buches. Oder man liest auf andere Art: Man betrachtet ein Buch wie eine kleine Maschine. Das einzige Problem ist: Funktioniert es, wie funktioniert es? Wie funktioniert es für euch? Wenn es nicht funktioniert, nehmt doch einfach ein anderes Buch. Diese andere Lektüre ist eine Lektüre der Intensität: etwas kommt rüber oder nicht, etwas passiert oder passiert nicht. Es gibt nichts zu erklären, nichts zu verstehen, nichts zu interpretieren. Es ist wie ein Stromanschluss.»In diesem Sinne müsste man sich entscheiden, ob man die Lektüre der Intensität bei dieser Art Kunst nicht einer traditionell hermeneutischen Lektüre vorziehen müsste, die im Öffnen der Schachtel besteht, im Enthüllen des Unverständlichen.
«Die vier ausgewählten Songs fallen durch einen differenzierten und ausgefeilten Umgang mit der Sprache auf. Besonders das Spiel mit dem Dialekt ist auffällig. Dass dabei eine Vielzahl rhetorischer Mittel, wie sie sich auch in traditioneller Lyrik finden, vorkommen, erstaunt mich nicht. Besonders spannend ist es überall dort – besonders ausgeprägt bei Knackeboul -, wo mit der Sprache so frei umgegangen und gespielt wird, dass die Regeln der Grammatik gebrochen werden, Wörter neu gebildet werden oder auf andere Art und Weise das kreative Potential der Sprache ausgenutzt wird. Die gesellschaftskritischen Songs vollziehen damit performativ das, wovon sie sprechen: Die Radikalität ihrer Ideen zeigt sich in der Radikalität ihres Umgangs mit der Sprache. Die Thematisierung des Ortes, den sie sich selber geben, gehört in vielen der Songs mehr oder weniger explizit dazu: Sie sprechen von der Ohnmacht ebenso wie von der Macht von Musik und Sprache.»