Ausschlaggebend, dass ich dieses Controverse schreiben wollte, war eine Episode von Maurice Polos Insta-Rant-Serie «Ride mitm Polo». Polo regte sich über schlecht gekleidete (Schweizer) Rapper auf und nahm sie in die Verantwortung, mit ihrem Aussehen auch mal ein Zeichen zu setzen, sich dafür einzusetzen, dass sich die Jugend gut kleidet. Dass dazu schnell einmal 200-Franken-Jordans, funkelnde Uhren oder eine teure, flashy Columbia-Jacke gehören, liegt nahe. In einer Welt, in der unser ganzer Alltag von A bis Z vom Konsum gesteuert wird und uns Grosskonzerne ihre Logos um die Ohren peitschen, verstehe ich nicht, weshalb auch noch Rapper dieses kapitalistische Spiel mitspielen sollten.Versteh’ mich nicht falsch – wenn ein Künstler modeinteressiert ist, sein Wochenende an einer Sneakerness verbringt und gerne die freshesten Kicks trägt, dann liegt es mir fern, ihn davon abhalten zu wollen. Er darf seine Outfits und Lieblings-Modelabels natürlich auch gerne in seinen Texten erwähnen. Schliesslich machen Kleider Leute. Aber grundsätzlich ist mir scheissegal, wie ein Rapper aussieht. In seiner Rolle drückt er sich primär über die Musik aus und nicht über das Äusserliche. Ich bewerte ihn anhand seiner Texte, seines Flows, seiner Reimschemata. Ob auf seinem Cap ein Supreme-Logo prangt, ist mir Jacke wie Hose.
Vor einigen Jahren pilgerte ich zusammen mit gefühlt jedem HipHop-Fan der Schweiz nach Frauenfeld. Vor allem die US-Acts waren für mich spannend, denn dazumal war ich weit weniger Schweizrap-affin als heute. Ich hatte früher immer die Playlists meines älteren Bruders gehört, weshalb sich meine CH-Rap-Knowledge lange auf Breitbild und Chlyklass beschränkte. Dementsprechend kannte ich einige der wichtigen Szene-Player noch gar nicht. Am OAF war neben der sympathischen Helen Fares von Hiphop.de noch ein weiterer Moderator mit schwarzen Locken und Bandana um den Kopf. Voller Enthusiasmus hopste er auf der Bühne umher, kündigte die Acts an und tat sein Bestes, die Crowd aufzuhypen. In unserer Gruppe machte sich der Luzerner Lockenkopf schnell einen Namen als «Spast». Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Dieser junge Herr war Pablo Vögtli, seines Zeichens Rapper, Bounce- Moderator, Backup von Mimiks und eine der relevantesten Persönlichkeiten im Schweizer HipHop. Am darauffolgenden Bounce-Cypher rappte Pablo einen der kränksten Parts der gesamten sieben Stunden und mein Bild von ihm änderte sich schlagartig: «Der kann ja rappen!» Seit diesem Moment habe ich höchsten Respekt für Pablo, egal wie er aussieht, was er mit seinen Haaren macht oder wie cringy ich einige seiner Insta-Stories finde. Er schreibt anspruchsvolle Texte, präsentiert sie lupenrein, denkt sich Wortspiele aus, hat eine beneidenswerte Bühnenpräsenz und er kennt unseren HipHop-Kosmos wie kein Zweiter. Für mich ist es das, was zählt.
Die kalifornische Underground-Bewegung TeamBack-Pack gibt aufstrebenden Rappern in kurzen Cyphers die Möglichkeit, ihre Rap-Skills vor einem grösseren Publikum unter Beweis zu stellen. Die Zauberformel: ein Mic, ein Beat, drei bis fünf Rapper und etwa fünf Minuten Zeit. Diese Leute sehen teilweise aus, als ob sie sich in einer Brockenstube innert fünf Minuten ihre Outfits zusammengestellt hätten. Ich rede von Cut-Off-Sleeves, Trucker-Hats, Fellmützen und fingerlosen Handschuhen. Was aber unglaublich ist, ist das abnormal hohe Skill-Level, auf welchem die Rapper spitten, mit Wörtern spielen, Doubletime-Lines ballern und Flows meistern, die man bei vielen Top-Tier-Rappern vergeblich sucht.
Ich habe schon Stunden auf dem YouTube-Channel von TeamBack-Pack verbracht, und das aus purer Freude am Rap selbst. Solange ein Rapper gut rappt, liegt mir herzlich wenig daran, was er anhat oder wie er sich nennt – Shoutout an Kung Fu Vampire.
Ich habe nichts gegen einen guten Style. Ich mag es, wenn ein Rapper im Musikvideo gut gekleidet ist, es ist aber höchstens zweitrangig. Und seien wir mal ehrlich: Viele verfolgen eh in etwa den gleichen Style. 2018 trug ja wohl jeder Schweizer Rapper an jeder seiner Shows «zwänzg Franke Trainer usem Otto’s» – Shoutout an Nativ.
«Das Auge isst mit» – Beim Essen scheinen sich die Meisten ja relativ einig zu sein, die Optik spielt eine durchaus relevante Rolle. Unser Gehirn reagiert intensiv auf visuelle Reize, denn sie lösen Emotionen aus. Und dies sei nicht nur bei ansprechendem Essen so – sondern auch bei schönen Menschen.
Mit diesem Statement wird nichts Geringeres als die Körpersprache angesprochen. Die Bedeutung der Optik eines Menschen und deren Wirkung auf andere, wird aber trotzdem noch immer zu Unrecht heruntergespielt. Dennoch zählen aber die nonverbale Kommunikation, sowie Optik und Erscheinungsbild, generell zu den wichtigsten Mitspielern im Sozialverhalten des Menschen. Und somit auch im urbanen Musikgenre. Der Körperkult in der HipHop- Szene ist allgegenwärtig, werden ja zum Beispiel nackte Frauenkörper in Videoclips erstaunlich gelassen entgegengenommen. Sex sells, entblösste Brüste werden angeklickt. Rapper schmücken sich mit hübschen Mädchen, glänzenden Sonnenbrillen oder Markenkleidung. Und die Masche scheint, laut Klickzahlen, zu funktionieren. Nebst der glitzernden Deko ist der wichtigste Punkt aber der Auftritt des Rappers selbst. Denn um ihn sollte es schliesslich gehen. Er entertaint. Mit seiner Stimme, klar, sowie mit den Vibes der Beats, mit seiner Lyrik. Aber noch viel mehr mit seiner Auftrittskompetenz, der Art wie er sich gibt – seinem Character eben.
Die Körperorientierung im HipHop beschränkt sich aber nicht nur auf die Körpersprache und den Körper selbst, auch dessen textile Hülle ist nunmehr von Bedeutung. Der lyrikorientierte HipHop-Konsument wird bei diesem Argument wahrscheinlich den Kopf schütteln – trotzdem gilt die Tatsache, dass es mittlerweile bei Konzerten, sowie beim Clubbing oder an Festivals, vielmehr um Lifestyle zu gehen scheint, als um die Musik selbst. Um beim Stichwort «Festival» gedanklich kurz abzuschweifen, halten wir uns Europas grösstes HipHop-Festival vor Augen: Das Openair Frauenfeld, wo ausgefallene Style-Skills safe zur Tagesordnung gehören – vor allem bei den Besuchern.
In der urbanen Fashionwelt grossgeschrieben werden unter anderem die Namen von Kanye, Run DMC und A$AP Rocky, welche das Modebewusstsein unserer Generation bedeutend mitgeprägt haben. Sie drücken sich durch ihre individuellen Looks genauso aus wie durch ihre Songs, verbinden die Kunst der Mode mit der Kunst der Musik. Offensichtlich, wie beispielsweise A$AP Rocky unsere Pinterest-Pinnwand sprengt, und somit viele Modebegeisterte mit seinem ausgeprägten Sinn für Styling inspiriert.
Am Rande zu erwähnen, unsere «Generation Smartphone», welche von Social Media dominiert wird. Jeder Drop wird gefilmt, gesnapt und gepostet, um der Follower-Gesellschaft sogleich öffentlich zur Kritik vorgehalten zu werden. Und das erste, was kritisiert wird, ist nun mal die Optik. Zudem werden Plattformen wie Instagram ja hauptsächlich dazu genutzt, um sich zu präsentieren, und so manchem Rapper gelingt es auch, dadurch zur Stilikone zu werden. Er hebt sich von der Masse ab durch seine Trendsetting-Skills – und gewinnt somit eine riesige zusätzliche Fanbase. Als schweizweites Beispiel könnte man Loredana als grosse Vorreiterin dafür nennen.Manche polarisieren jedoch auch absichtlich durch ausgefallene, randständige Stilbrüche, welche ins Auge fallen und gehypet werden – siehe COBEE. Und Youngstar Cinnay scheint dieselbe Welle auch zu catchen.Rap, Körperkult und Fashion liegen sehr nahe beieinander. Man möchte sich ja auch mit seinem Idol identifizieren können – und dies scheint nur zu funktionieren, solange dieser mit seinem Gesamtpaket inspiriert.