Auf ein Bier mit dem Action Bronson der Schweiz
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September
2021

SitHop

Auf ein Bier mit dem Action Bronson der Schweiz

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2021

SitHop

Auf ein Bier mit dem Action Bronson der Schweiz

Moritz Wey
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Auf ein Bier mit dem Action Bronson der Schweiz
Quelle:
Matthias Börner
Samplebeats, die Platz lassen, für was es Platz braucht: Die Weirdo-Wucht einer Künstler-Persona, bäuchig, bärtig, provokativ. 

KRYSL hat sich für mich erst im letzten Jahr wirklich hervorgetan. In den Bubbles, on- wie offline, bin ich immer wieder über seine Musik gestolpert – und war geflasht. Haariger Riesenmann mit dickglasiger Brille, der mit seinem Äusseren per se den Rahmen sprengt, stolpert dir entgegen, während er mit bäriger Stimme über naive Samplebeats dröhnt. Dann, Hardcore-Bars im Sitzen: Ein Mix aus Beobachtungsgabe für das Heute einer individualisierten Gesellschaft und indiskret vorgetragenen, nicht immer schmeichelhaften Alltagsrealitäten der ihren oder seiner selbst. Dienliches Material fürs Pointieren, Kokettieren und Provozieren. Doch wird ihm der Vergleich gerecht?

«Kein Band-Rap, ich mache Rap-Rap»
Als ich ihn live spielen sehe, sitzt er mit nacktem Oberkörper, die Wampe stolz tragend, an einem Tisch, den Laptop vor sich platziert. Der Crowd erklärt er: «Ich weiss nicht wieso, aber den Leuten gefällt’s wenn ich das Shirt ausziehe». Dabei wird klar: Was wirklich ankommt, sind Sympathie und Humor. Denn KRYSL nimmt den Unterhaltungswert der Sprache sehr, sich selbst jedoch kaum ernst. Ich erkenne, dass eine solche Herangehensweise, ein solches Vortragen mit all seinen audiovisuellen Ecken und Kanten keine superdetaillierte Neuzeitproduktionen mit zwei Dutzend Spuren braucht. KRYSL braucht‘s simpel und simpel ist gut.  

Den Seuzacher treffe ich am Winterthurer Stadtrand im Restaurant Schützenhaus. Da, wo sie, so erzählt er mir später, einen übergrossen Frosch aus Keramik oder Plastik mit einem Bagger aus dem Weihergrund hieven mussten, weil sich zu viele Algen daran sammelten. Das Gartenrestaurant mit Tanzhalle und Minigolf kenne ich aus meiner Kindheit. Die Anlage hat sich kaum verändert, ist gleichermassen Unort wie Nostalgieoase. Im Hintergrund dudelt eine Melodie irgendeines Automaten, ich fühle mich wie im Europapark. Alles fake und aus der Zeit gefallen. KRYSL finde ich, zusammen mit seinem besten Homie, Rapper und «Main-Foto- und Videograf» , am Weiher, wo er ihn bereits ablichtet.

Warum treffen wir uns hier?

Dieser Ort hat etwas Verbrauchtes und Unverbrauchtes zugleich. Wir haben hier ein bisschen Lost-Place-Feeling, nur farbiger. Und natürlich: Hier haben wir das Video zu «Ctrl + C» gedreht. Ich komme gerne hierher – nicht zuletzt, weil ich hier eine gewisse Anonymität geniesse, der Bubble entfliehen kann. Ansonsten ist dieser Ort eher ein «Boomer-Place».


Wir befinden uns beim Rosenberg. In den Credits zu deinen Songs lese ich immer wieder vom Rosenberg-Studio – entsteht sie hier, deine Musik?

Unser Studio, das wir von wenigen Jahren hierher zügelten, ist gleich um die Ecke. Hier wurde alles aufgenommen, bis auf den Fäntu-Song. Auch haben wir hier immer mal wieder Gäste oder hängen ab. Musik mache ich jedoch in erster Linie zuhause.

Lagerbier im Schützenhaus

Wenige Stunden vor dem Interview, so mache ich das jeweils, checke ich nochmals die Socials. Auf Instagram filmt sich KRYSL, wie er eine seiner pressfrischen Platten für den Postversand verpackt. In den letzten Sekunden der Story streichelt er mit seinen fleischigen Fingern behutsam den eigenhändig gekritzelten Namen auf der Anschrift. Ich lese: «Pablo Vögtli, SRF Virus». Es ist ein Umgang mit Augenzwinkern, gibt dem ganzen meist öden Promo- und Businessaspekt eine unverkrampfte Kurzweiligkeit.

Eine ältere Single von dir trägt den Titel «Kulturschlampä». Du veröffentlichst seit längerem Rap, hast Kunst studiert und hast dir bestimmt auch schon über den Vermarktungsaspekt als Musiker Gedanken gemacht. Was tust du in dieser Hinsicht?

Instagram nutze ich beispielsweise oft – auch einfach, weil ich als Fotograf sehr aktiv bin und gerne viel Content raushaue. Kunst habe ich der Fotografie wegen studiert. Mit ihr kann ich mich – genau wie mit provokativen Punchlines – ausdrücken und Leute vor den Kopf stossen.  

Worauf verzichtest du lieber?

Letztens habe ich so eine Paid-Ad-Werbung eines Rappers gesehen, der dann so von ach so begeisterten Leuten dargestellt wird – so was wäre mir zu viel. Sobald es darum geht, Geld dafür auszugeben, um irgendwo dabei zu sein, bin ich raus. Ansonsten sehe ich Videos, auch auf Insta, als Teil meiner Kunst, die ich gerne mache, solange ich mich nicht verstellen muss – auch wenn das Ganze eine werbende Funktion hat.

«Wenn mein Vater zu Besuch ist, schüttelt er nach einem Blick ins Altglas nur mit dem Kopf.»

Welchem Urteil, das andere über dich treffen, würdest du zustimmen?

Dass ich ein naiver Motherfucker sei, der keine Ahnung habe von dem, was er tue und es deshalb nur rudimentär könne. Das stimmt völlig, da will ich mich gar nicht dagegen wehren. Ich mache einfach und folge keinen Regeln oder Tutorials. Und zwar vor allem, weil ich ein fauler Mensch bin. Wenn etwas klappt, dann lasse ich es gleich so stehen. Wenn’s «verhebet», dann «verhebet’s».

Auf deinem Album rappst du «Nöd so wichtig, was dini Sexualität isch, wichtiger, dass es dini Realität isch» – wie meinst du das?

Huch, ich hoffe, ich habe damit keine Sexualstraftäter angesprochen (grinst). Es geht darum, dass du zu deiner Sexualität stehen und deine Liebe zeigen kannst. Als Fotograf kam ich immer wieder mit der LGBTQIA+-Szene in Kontakt, die ein sehr inkludierendes und positives Weltbild vermittelt. Sei es auf illegalen Fetisch-Parties auf meiner Studienreise in Moldawien oder beim Fotoprojekt für untamed.love, bei dem ich queere Personen vor der Linse hatte. Ich als Cis-Mann wurde mir dabei den Eigenheiten und Schwierigkeiten sexueller Minderheiten bewusst und habe mein Mindset auch ein bisschen überdenken müssen.

KRYSL, Trash und Realness
«Ich prahle nicht mit Fremdwörtern – wie auch, die vergesse ich schnell wieder.»

Schon bald kommen wir auf seine Hip-Hop-Anfänge zu sprechen, die – nicht wie so oft – in der deutschen Sprache liegen. Von der Lyrik fasziniert entdeckt er als Jugendlicher Freundeskreis, später erst Schweizer Mundart-Rap wie Wrecked Mob. Als Jean-Jacques Scharlatan alias Cruizzel veröffentlicht er innerhalb des Kollektivs FLASHDIGGA und als Soloartist erste Platten, anfangs und zuletzt auch mit WTK.

Auch heute noch setzt er sich mehrmals die Woche, abends, vor den alten Laptop seines Vaters, der das Gerät zwanzig Jahre zuvor zwischen Abfallbergen herausfischte. Textet und baut Beats, zerschnipselt und looped alles, was ihm in die Finger kommt. Auch Vocalparts – von E.K.R über Jan Delay zum Chasperli –, wie man auf seiner neuen Platte unschwer hören kann. Ansonsten sei er neugierig und provokativ in seiner Musik. Das, sowie seine Begeisterung für die Auseinandersetzung mit Sprache, machen ihn aus.

«Die Dummen kann ich nicht befriedigen», erklärt er mir irgendwann, nachdem mir bewusst wird, dass er mich auch ein bisschen an Lügner erinnert, desselben Dada-Humors wegen. Dennoch ist seine Musik nicht besonders hochschwellig. Seine Raps scheinen mir, so selbstironisch und ohne irre Flow-Kapriolen, zugänglicher als andere. «Ich prahle nicht mit Fremdwörtern – wie auch, die vergesse ich schnell wieder», meint er. Eine Einstellung, die nicht von ungefähr kam. So haben ihm Black Tiger und E.K.R. gelehrt, dass man Kompliziertes auch mit einer einfachen Sprache vermitteln kann.

Simplicity wins
Das Bauen eigener Beats kam quasi gezwungenermassen dazu. Es mangelte schlicht an Instrumentals. Wie das so sei innerhalb Rapcrews, wo man als einzelner MC schnell dazu neigt, die wenigen Beats an sich zu reissen, zu horten, auch wenn dann nie etwas daraus wird. Anstoss gab Bö damals 2009 im Toggenburg mit WTK. KRYSL schnappte sich den «Kompi vom Bapi» und installierte Fruityloops. Schule gaben die Winti-Urgesteine Chraensch und Tay. Einfache Funktionen, wie den Slicer zum Zerlegen der Samples, eignete er sich an. Noch heute verwendet André dieselbe alte Kiste mit der gleichen alten Version der Produktionssoftware. «Zwar ohne Internet», erklärt er mir gleichgültig. «Vielleicht besser so», schmunzelt Bö aus dem Off.

Die Crews und Formationen seiner Anfänge bestehen mittlerweile nicht mehr, Lebensentwürfe verändern sich mit Ende 20 und nicht mehr bei jedem steht das Hobby Hip-Hop an erster Stelle. Anders bei KRYSL. Spass mache es nach wie vor und – so glaube er zumindest – sei es auch noch nicht peinlich. «Nach 40 wird’s dann langsam schwieriger, wobei das ja zum Beispiel bei Chlyklass auch auf alle zutreffe und es bei ihnen funktioniert – mit einem Augenzwinkern.»

Winti-Bern-Connection
Im Januar des letzten Jahres trat die Chlyklass im Winterthurer Salzhaus auf, kurz vor dem ersten Lockdown. KRYSL und Fäntu folgen sich damals bereits auf Instagram, ihrer Leidenschaft für Fussball wegen – KRYSL erinnert sich an eines seiner Fotos eines moldawischen Fussballstadions, das Fäntu gefallen haben soll. Für Fäntu und Krust schwärmt der Winterthurer schon lange, vor allem ihre inhaltliche Tiefe hat ihn in seiner Jugend geprägt. Nach dem Konzert bittet André um ein Fan-Foto mit den beiden, obschon der Vorbehalte: «Da besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen Künstler*innen ansprechen und mir. Ich bin da super verhalten, fühle mich als Mensch zweiter Klasse», gibt André sarkastisch zu. «Die zweite Ungleichheit spannt sich zwischen der Kunst und der Persönlichkeit dahinter, die ja oft nicht deiner Vorstellung entsprechen muss.»

Nicht nur um ein Foto bittet er, KRYSL erkundigt sich sogar stammelnd, wie es um die Chance stehe, dass wohl einmal ein gemeinsamer Track entstehen könnte – und schickt Fäntu wenig später seine Hörproben zu. Eine Woche später kommt die Anfrage zurück, Fäntu will die Skizze zu «Octavia» als Projekt auf seiner EP haben. Die gemeinsame Arbeit, inklusive DJ Stroke, entsteht im Corona-Sommer in Bern. Drei Versionen resultieren, wovon die erste mit gesprochenem Intro von Fäntu auf KRYSLs und die letzte mit Intro von KRYSL auf Tschechisch auf Fäntus Projekt landet. André schiesst schliesslich noch Fäntus Pressefotos. Der Deal: KRYSLs Spesen werden gedeckt, dafür besuchen Fäntu und Krust André in Winti für einen nächsten Song. «Den Mut zu fassen, hat sich gelohnt», grinst André. «Wir sind Kollegen geworden, haben immer wieder miteinander zu tun und lachen gerne über subtilen Scheiss.»

Winti war produktiv während der Pandemie. Nach Jahren mit kaum Veröffentlichungen hat das letzte und aktuelle Jahr gezeigt, dass doch fleissig Musik gemacht wurde. Wie nimmst du die hiesige Szene wahr?

Sehr lebendig und schön. Ich bin fast schon stolz, dass ich mit den meisten zu tun habe und immer wieder mehr Musiker*innen kennenlerne. Aber ja, Winti wurde fast ein bisschen tot gesagt vor der Pandemie. Zum Glück entstand dann die monatliche Freestyle Session «Sunntigs Bouncete» im Green Klub. Dort ist man sehr vernetzt, generationenübergreifend und das Level ist hoch. Viele Junge, die sich den Oldschool zu Herzen nehmen. Ich wurde vor Kürze nach Traumfeatures gefragt und musste die Frage ehrlich gesagt zurückgeben – in Winti habe ich alle MCs, die ich mir wünsche.

Es dunkelt langsam ein

Die hundskommunen Schützenhaus-Gäste haben sich mittlerweile, ihrer mehr oder minder geregelten Leben wegen, in ihre Behausungen verzogen. Wir merken das kaum, nippen weiter Bier und lassen die Gespräche, wahrscheinlich alkoholbedingt, assoziativer aus der Bahn gleiten. Erst als mit einem leisen Wumms sämtliche Aussenbeleuchtung ausgeknipst wird und wir im Dunkeln sitzen, denke ich langsam daran, die Sprachaufnahme auf meinem Handy zu stoppen. Action Bronson hört André im Übrigen eher selten, seine Inspirationen verorten wir im deutschsprachigen Raum. Mit dem Vergleich ist er trotzdem d’accord.

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