CH-Rap steckt in der Krise. Was tun?
Thursday
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11
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November
2019

Kolumne von Luca Thoma

CH-Rap steckt in der Krise. Was tun?

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November
2019

Kolumne von Luca Thoma

CH-Rap steckt in der Krise. Was tun?

Luca Thoma
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CH-Rap steckt in der Krise. Was tun?
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Die Schweizer Rap-Szene war schon lange nicht mehr so langweilig und irrelevant wie heute. Das ist nicht nur die Schuld der Künstler. Woran liegt’s? Und was können wir tun?

2014, als das LYRICS gegründet wurde, befand sich Schweizer HipHop in einer wichtigen Phase der Neuorientierung. Mimiks’ Album «VodkaZombieRambogang» und die Mixtape-Serie von Lo & Leduc belebten das ab 2006 langsam eingeschlafene Rap-Game aufs Neue und holten eine neue Generation an HipHop-Fans mit ins Boot.

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Die Jahre danach waren grossartig: Spannende, facettenreiche Künstler und energetische Movements wie Xen, Pronto oder S.O.S. drängten an die Spitze. Als ich 2017 die grosse «History of Swiss Rap» in der JUICE veröffentlichte, standen die Zeichen auf Sturm, das Wachstum schien dank der Internationalisierung von HipHop und dem aufstrebenden Single-Game schier unendlich. Doch was ist seither passiert? Leider erschreckend wenig!

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LYRICS hat diese Aufbruchsstimmung im Schweizer HipHop immer sehr optimistisch und euphorisch begleitet. Viele Künstler wurden als «NextUp» geadelt, Awards verliehen und auch die ersten holprigen Afrotrap-Versuche wurden wohlwollend gepusht. Das war und ist wichtig: Wachstum und Kreativität werden durch eine euphorische Aufbruchsstimmung gefördert. Doch leider ist es auch an der Zeit, das Kind beim Namen zu nennen: Die Schweizer HipHop-Szene steckt zurzeit in einem Leerlauf fest, der zur handfesten Krise auszuwachsen droht. Seit 2014 war die Rap-Landschaft hierzulande nie so öde wie heute.

Industrie und Kunst

Woran liegt das? Die wichtigsten Gründe sind strukturelle. Durch das Aussterben des CD-Markts und die Digitalisierung haben Spotify und Konsorten eine dominante Stellung im Musikmarkt gewonnen – und CH-Rap spielt keine Rolle dabei. Wer einen Hinweis braucht, kann sich gerne mal die «Schwiizrap»-Playlist auf Spotify anschauen: Die Liste ist nicht nur relativ unkreativ zusammengestellt, sie wird seit Monaten nicht mal mehr aufgefrischt. Dead End.

Das macht es für junge Künstler fast unmöglich, sich einen Namen zu machen. Die etablierten Künstler dagegen kommen mit Playlist-Pitching ganz OK über die Runden, aber das Movement stirbt aus. Alle streamen den einen oder anderen Song in einer Spotify-Playlist, aber niemand ist mehr mit ganzem Herzen dabei. Ein Beispiel gefällig? S.O.S. rissen 2017 und 2018 jede nur erdenkbare Bühne in der Schweiz ab, die Fans kamen in Scharen und feierten die Party des Jahres. Nun hat Dawill alle mit seinem Sony-Deal überrascht, aber weder Streams noch Klicks kommen an die alte Grösse des Künstlers heran. Ob er mit seinem neuen Soundentwurf das «Hübeli» füllen kann? Sicher kein Selbstläufer.

Das bringt uns zum nächsten Problem: Ein Major-Signing bedeutet nicht mehr automatisch Erfolg. Während Stress und Bligg noch Erfolgsgaranten für Universal Music waren, fällt das Fazit heute deutlich nüchterner aus: Künstler wie Marash und Dave wären wohl besser independent geblieben und haben sich mit dem glattgeschliffenen Calvin-Harris-Sound ihr Standing ruiniert, sodass die neue Dave-EP – ein grossartiges Stück Musik – leider nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stand.

Was den Stand von Schweizer Rap in den Streaming-Diensten zunehmend erschwert, ist die zunehmende Dominanz der Deutschrap-Bubble und des Ami-Kosmos. Konnte man früher mit CD-Käufen die lokalen Künstler pushen und unterstützen, gehen sie heute in den Playlists neben Travis Scott und den Hochglanz-Produktionen eines Capital Bra unter. Eine Alternative zum internationalen Kräftemessen gibt es jedoch nicht. Schweizer Rap muss im selben Kosmos wie Kendrick, Xatar oder Samra stattfinden, wenn er seine Relevanz nicht komplett einbüssen möchte.

Was lässt sich dieser Verschmelzung der HipHop-Welten und der Internationalisierung des Hörverhaltens entgegensetzen? Theoretisch: Konzerte. Travis kommt höchstens alle paar Jahre in die Schweiz, Künstler aus der hiesigen Szene kann man jedes Wochenende live sehen. Das schafft Nähe. Allerdings wird Booking für die Schweizer Clubs und Konzertlokale immer schwieriger. Viele CH-Rapfans haben Pronto, Xen, Mimiks, Stress und S.O.S. bereits mehrmals live gesehen. Welche Künstler kann man buchen, damit es fürs Publikum nicht repetitiv wird, der Club aber dennoch gefüllt wird? Das führte dazu, dass auch das Live-Game eingeschlafen ist. Vor vier Jahren spielten die OGs wie Mimiks noch schweizweite Touren. Wer macht das heute noch? Niemand. Das grossartige Breitbild-Konzert zeigt, was heute schiefläuft. Während es die Bündner Rapper schaffen, über 6000 Fans für ein legendäres Happening in die Stadthalle Chur zu holen, füllen die Helden des Tages kaum mehr einen Club in Rümlangen oder Ormalingen.

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Zu den strukturellen Gründen kommen künstlerische Missstände dazu: CH-Rap hat sich schon immer an deutschem oder französischem Rap orientiert, welcher sich zuvor bereits an Trends aus Übersee orientiert hatte. Doch heute ist der Sound von Newcomern – sorry für die Direktheit – oft verwässerter denn je. Wenn du internationalen Sound machen willst, musst der Beste ein! Die Kopie der Kopie der Kopie zieht im direkten Streaming-Vergleich den Kürzeren.

Was tun?

Doch genug gejammert. Die Diagnose, dass CH-Rap in der Krise steckt, ist bereits der erste Schritt zur Besserung. Was können Künstler hierzulande tun, um dem Negativ-Trend entgegenzuwirken?

An erster Stelle: mehr Mut und mehr Movement. Die CH-Rap-Bubble darf nicht nur online stattfinden, sondern muss wieder stärker unter die Leute. Das bedeutet, dass sich junge Künstler nicht zu schade sein dürfen, auch ohne Gage an einer Hundsverlochete aufzutreten und ordentlich Dreck zu fressen. Mit einem guten Live-Konzert und einer guten Liveshow können Fans fürs Leben gewonnen werden. Das Movement wächst.

Mutig zu sein, bedeutet auch seine Individualität auszuleben. Wenn Künstler Einheitsbrei aus den Spotify-Playlists stilsicher kopieren, mag das für einen gewissen Moment funktionieren, aber alle Rapper, die vorne mitspielen – Xen, Pronto, S.O.S. – bestechen durch einen unvergleichlichen Style. Hitgaranten wie Manillio und Lo & Leduc haben über die Jahre hinweg eine eigenes, ihrem Schweizer Leben angepasstes, Songwriting gefunden, das sie unique und daher beliebt macht.

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Wenn Innovation und Kreativität im Sound stimmen, muss sich der Künstler auch auf ein professionelles Umfeld mit genügend Knowhow verlassen können: Leute, die etwa wissen, wieviel Konzert-Gage man verlangen kann und wie eine Vertragsverhandlung funktioniert und nur das Beste für den Künstler wollen. So können sich Rapperinnen und Rapper auch professionelle und effektive Vertriebskanäle aufbauen. Wenn sich Schweizer Rapper von den beschriebenen Zwängen befreien und unvoreingenommen ihren eigenen musikalischen Fussabdruck suchen und finden, erleben wir mit ein wenig Glück schon bald das Aufstreben neuer Galionsfiguren.

Wie man Sound am Puls der Zeit machen kann, der eigene Akzente setzt, zeigt etwa Stereo Luchs. Dabei darf nicht vergessen werden, dass seinem Soundentwurf ein jahrelanger Selbstfindungsprozess voranging. Er hatte aber den Mut, seine eigenen Visionen zu kreieren und umzusetzen. Das mag dauern, bringt auf lange Frist aber Erfolg und ein unanfechtbares Legenden-Standing. Totally worth it.

So dürfen Schweizer Rapper durchaus mutig sein und auch mal Fehler machen. Den künstlerischen Tod stirbt man nur durch Inspirationslosigkeit und Stagnation. CH-Rap hat viel Potential. Zeit, dass es aufs Neue ausgeschöpft wird.

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