Drei Gründe, warum es zu früh ist, den Erfolg von Frauen* im Rap abzufeiern (Und warum das nicht gut so ist)
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September
2020

Frauen* im Rap

Drei Gründe, warum es zu früh ist, den Erfolg von Frauen* im Rap abzufeiern (Und warum das nicht gut so ist)

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2020

Frauen* im Rap

Drei Gründe, warum es zu früh ist, den Erfolg von Frauen* im Rap abzufeiern (Und warum das nicht gut so ist)

Yosina Koster
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Drei Gründe, warum es zu früh ist, den Erfolg von Frauen* im Rap abzufeiern (Und warum das nicht gut so ist)
Quelle:
Sampa The Great - Birds And The BEE9 Albumcover / Artwork: Sheeba Maya
Wenn sich die Jungs aus der Redaktion bei mir melden und meinen, sie hätten ein «kontroverses» Thema und dass nur ich es bringen könnte bin ich hin- und hergerissen zwischen Neugier und Augenrollen. Der Grundriss für den Artikel: «3-5 Gründe warum Frauen es im Rap 2020 einfacher haben (und warum das gut so ist)».

[1] Lieber kein Artikel, als sich für Selbstverständliches auf die Schulter zu klopfen

Obwohl ich eigentlich gerne jede Gelegenheit nutze, um meinen Senf zu den Themen Frauen* im Rap und Feminismus dazuzugeben, hat dieser Vorschlag bei mir ein ungutes Gefühl ausgelöst. Das hat einerseits damit zu tun, dass mir gar keine drei Gründe, geschweige denn fünf, eingefallen sind, warum es Frauen* im Rap 2020 einfacher haben sollten und andererseits, weil ich nicht sicher war, was denn überhaupt das Ziel eines solchen Artikels sein soll. Schliesslich möchte ich auf keinen Fall einen Text schreiben, der dann bei HipHop-Stammtischdiskussionen herbeigezogen wird à la «siehst du, sogar das LYRICS Magazin hat gesagt Frauen erleben im Rap keine Schwierigkeiten!!». Lieber kein Artikel über Frauen* im Rap als die Pick-me-Schiene zu fahren. Der Cringe ist einfach zu gross, sich unreflektiert zu gratulieren für etwas, das seit Jahren hätte selbstverständlich sein sollen.

[2]  Die Räume, in denen CH-Rapperinnen* gefragt sind, sind klar (und eng) definiert

Was soll ich also schreiben? Im Optimalfall etwas, das Rapperinnen* ermutigt, ihre Musik mit der Welt zu teilen. Auch die Redaktion hatte einen Artikel im Sinn, der für Empowerment sorgen soll. Ein Artikel der aufzeigt, dass Frauen* in der Rap-Community heute eher eine gerechte Chance erhalten als z.Bsp. Steff la Cheffe damals. Diese These stützt sich auf die Beobachtung im Team, dass im Booking ein Muster erkennbar sei, dass es junge Künstlerinnen mit teilweise wenig Aufwand und Output einfacher haben, für Events und Awards gebucht zu werden. Das, während dem man gleichzeitig beobachtete, dass sich genau so talentierte Künstler abarbeiteten, ohne dafür ähnliche Aufmerksamkeit zu erhalten.

www.catswag.ch

Ich selber habe keine solchen Einblicke in die Welt der Künstler*innen und bin froh über solche Inputs. Wie also lassen sich solche Beobachtungen einordnen? Auch ich sehe zu meiner Freude immer wieder Plattformen, in denen spezifisch Frauen* im Rap gepusht werden. So zum Beispiel KTGoriques «Biggest Female Allstars Cypher» (der übrigens nach wie vor ein must-see ist), die «Zoom - Female* Voices im CH-Hip Hop»-Sendung auf Kanal K oder das grossartige queer-feministische «Queens* of Hip Hop»-Festival in Bern. Alles Räume, in denen Rap von Frauen* im Rampenlicht steht. Räume, die progressiv und mutig den Status Quo im Rap und in der Gesellschaft in Frage stellen. In diesen Räumen werden Frauen* gesucht, die den Status Quo aus den Angeln heben. Und das ist gut so.

Dazu kommen auch noch jene Plattformen und Räume, die weder progressiv noch mutig sind, sich aber trotzdem so präsentieren. Die Plattformen, mit denen sich die Redaktion durch die Bookings auskennt. Beispiel: die Swiss Music Awards. Auf solchen Plattformen sind Frauen* gesucht und werden gerne für Awards nominiert. Gilt das schon als Geschlechtervorteil? Und wenn ja, was heisst das jetzt? Was genau tut denn eine durchkommerzialisierte Plattform wie die SMAs um junge Künstler*innen, gerade Frauen*, zu unterstützen? Tommy Vercetti hat seine SMA Nominierung nicht ohne Grund bereits zum zweiten Mal abgelehnt. An den SMAs würden laut ihm gerade kleine Künstler*innen «instrumentalisiert und ausgebeutet», da der Event mit den Gesichtern der Künstler*innen Geld verdient aber die Szene nicht unterstützt. In dieses Marketing-Schema passt es doch perfekt, Frauen* zu nominieren um sich progressiv präsentieren zu können, ohne tatsächlich etwas für deren Fortschritt der Musikszene zu leisten. Natürlich feiere ich Frauen*, die durch die SMAs eine breitere Plattform etablieren können. Wenn dies zu reinen Kommerz-Zwecken geschieht, ist das vielleicht immer noch besser als wenn es gar nicht geschieht. Insofern kann ich meinen Kollegen hier also zustimmen.

[artikel=1]

Wir haben also zwei Bereiche, in denen Frauen* im Rap gesucht werden und sie es dementsprechend «einfach» haben: einerseits schein-progressive Kommerz-Plattformen wie die SMAs die Künstler*innen als Deko verwenden, andererseits die tatsächlich progressiven und mutigen Plattformen wie das «Queens* of HipHop»-Festival - Plattformen, die oftmals von Frauen* selbst über mühsame, jahrelange Arbeit erkämpft wurden. Der erste Bereich ist ziemlich unbrauchbar und der andere kommt meist von Frauen* selber.

Und was ist mit all den Räumen in der CH-Rap Landschaft, in denen es nicht erwünscht ist, dass der Status Quo in Frage gestellt wird? Am letzten Dachstock Ultimate MC Battle wurde eingeführt, dass sexistische, homophobe und rassistische Lines verwarnt werden. Geklappt hat das mehr schlecht als recht. Die grosse Enttäuschung - das vorwiegend männliche Publikum buhte bei der Verkündung der neuen Regeln. Wenn das Publikum eines Battles, ausgerechnet in der Reitschule, nicht mal einen minimalen Standard in Antidiskriminierung akzeptieren kann, dann haben es Frauen* im Rap 2020 allgemein halt wirklich nicht einfach. Nicht einfacher als 2015, und erst Recht nicht einfacher als Cis-Männer. Apropos Diskriminierung am Ultimate MC Battle - wie ironisch war das denn bitte, als zwischen all den Punchlines auf Kosten von Menschen mit Behinderung eine Pause eingelegt wurde, in denen Spenden für ein Kind mit einer Behinderung gesammelt wurden? Come on.

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Und übrigens - was ist denn mit den Frauen*, die gar keinen Bock darauf haben, den Status Quo anzugreifen? Frauen, die einfach nur sinnfreien Rap ohne Statement machen wollen wie viele ihrer männlichen Pendants? Landen die dann in den Rap-Ecken in denen Frauen* nicht erwünscht sind, weil sie den liberalen Feuilletons, SRF Virus und dem LYRICS Magazin zu wenig progressiv sind und die keine mutigen Statements liefern, die präsentiert werden können? Werden sie von den «Woke»-Medien gepflegt ignoriert oder werden ihre eventuell mittelmässigen Alben trotzdem gepusht wie jene ihrer männlichen Pendants?

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[3] Credits jenen, denen sie gebühren

Was Frauen* im Rap betrifft, gibt es also begrüssenswerte Entwicklungen, sei es durch grossartige Rapperinnen* oder durch Plattformen, die echt gute und wichtige Arbeit leisten. Aber solange sich der Fortschritt auf diese klar definierten Räume beschränkt, ist es zu früh, dass wir uns dafür abfeiern. Was wir machen sollten, ist die Aufmerksamkeit auf die zu lenken, die richtig viel Arbeit und Leidenschaft reinstecken, um Frauen* im Rap zu unterstützen - so zum Beispiel die Plattform www.catswag.ch. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, CH-Rapperinnen* zu porträtieren, ihnen einen Raum zu bieten und die Szene mit Fokus auf Frauen* im Rap zu pflegen. Wenn ich mich also das nächste Mal mit dem Thema auseinandersetze, möchte ich versuchen, mich mit Personen hinter solchen Plattformen hinzusetzen, damit wir alle von ihren Erfahrungen profitieren können.

Und weil mir selber keine drei Gründe in den Sinn kommen, warum es Frauen* im Rap 2020 einfacher haben, sollten wir die Expertinnen* fragen: Gibt es 2020 wirklich Vorteile, und wenn ja, wo? Und was sind die Baustellen, die wir unbedingt anpacken sollten? Was können wir tun, um junge Frauen*, queere Menschen, Menschen mit Behinderung oder andere marginalisierte Menschen im Rap zu pushen?

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