Die Rückkehr der Schallplatte im Rap-Game
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September
2021

Aufstieg des toten Mediums mit Tommy Vercetti, Stereo Luchs und Ryler Smith

Die Rückkehr der Schallplatte im Rap-Game

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September
2021

Aufstieg des toten Mediums mit Tommy Vercetti, Stereo Luchs und Ryler Smith

Die Rückkehr der Schallplatte im Rap-Game

Lenard Baum
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Die Rückkehr der Schallplatte im Rap-Game
Quelle:
Schallplatten sind wieder auf dem Erfolgszug, und dies ebenso im Schweizer Rap Game. Von Newcomer Ryler Smith zur Berner Rap-Legende Tommy Vercetti lässt sich keiner die Platte entgehen. Von ihrem kurz bezeichneten Tod zum Untergrund-Hit bis zum festen Bestandteil beim jetzigen Album-Release hat die Schallplatte einiges erlebt.

Greis? Eher als Geschenk für meinen Onkel. «Deitinge Nord»? Sehr nice! Bligg? Nicht gerade mein Go-To im Moment. Irgendeine Random Platte von paar Jungs aus der Innerschweiz? «Illarius» habe ich schon. Aber auf jeden Fall ein Classic. S-Toni, Sektion Kuchikäschtli, Slang Warriors, etc. Register S ist bis jetzt eine wahre Goldgrube. Jeder, der schon einmal in einem Plattenladen herumgestöbert hat, kennt dieses einmalige Gefühl. Beim Durchsuchen der Plattenkisten scheint der Katalog manchmal endlos, und fast so lange könnte man darin herumstöbern. Doch nur ein Blick in die Album-Releases oder das Neuheiten-Regal, und man merkt: Schallplatten sind wieder am Start, ebenso bei uns in der Szene.

Plattenkisten in einem Vinylladen.

Das sowohl Streaming als auch Platten ihre Vorteile und Nachteile haben, zeigen Dominik Müller und Sergio Scagliola  in diesem Artikel.

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Bye Bye Vinyl

Beginnen wir mit einem «kleinen» Zeitsprung ins Jahr 1983 zur Einführung des Mediums, welches die Schallplatte eigentlich ablösen sollte: Die CD. Sie sollte es schaffen, die Platte fast ins Museum zu verbannen. Anfang der 1990er verkaufte die CD fast doppelt so viel Exemplare wie die Vinylplatte und die grossen Plattenhersteller gaben klein bei. Gemeinsam rief man «Den Tod der Schallplatte» aus. Auch in der Schweizer Szene machte sich dieses Phänomen bemerkbar. «Murder by Dialect», der Tauf-Song für die Szene, kam auf CD raus. So auch das erste reine Mundart-Rap Album von E.K.R.

Ein kleiner Throwback oder auch die Geburtsstunde der Szene: «Murder by Dialect».

Wenigstens in der DJ-Szene und im Reggae Bereich hielt sich die Platte noch etwas, ansonsten war sie einzig für Herzblut-Sammler und Spezialausgaben noch das Lieblings-Medium. Die CD dominierte und die Schallplatte behielt genauso wie die Schweizer Hip-Hop Szene lange Zeit den Underground-Status. Doch das sollte sich in beiden Fällen ändern. Schweizer Rap konnte sich durch Chlyklass oder Sektion Kuchikäschtli neu definieren und Vinylplatten fanden in den Clubs der Langstrasse oder im Dachstock neue Fans. Scratching oder Mixing war mit CD schliesslich wenig vorstellbar. Nur als Nischenprodukt gefragt, fand die CD in der «Goldenen Zeit» der Szene mit den aufkommenden Poster Boys Bligg und Stress ihr Ende.

Das Internet feierte in rasendem Tempo seine Erfolge: Es folgten iPods, Online Music Stores, die ersten Piratenseiten, bis hin zum heutigen Musikstreaming. Schweizer Rap hat sich verändert und neu definiert in dieser Zeit, während der Platten-Verkauf ebenfalls nach und nach wieder an Fahrt aufnahm und sogar wieder richtig gefragt wurde. Sieht man sich die Zahlen an, kann man weniger von einem Trend als einem Erfolgskurs sprechen. Auch wenn Streaming die Musikszene dominiert, geht es für die Platte wieder nach oben.

Back to Vinyl

Fans wie Künstler beginnen das Medium neu für sich zu entdecken. Keine grosse Agentur lässt den internationalen Rapper heute ohne Vinylscheibe ein Album droppen. RIN, welcher «EROS» und «Nimmerland» limitiert auf Vinyl herausbrachte (bringt heute knapp 150.- für Sammler ein) oder Tyler the Creator, welcher auf «IGOR» sogar einen geheimen exklusiven Song gepresst hatte. Gegenüber Streaming-Releases kann man die Schallplatte noch veredeln oder im Bundle teurer anpreisen. Die Verschönerungen zahlen sich aus. Die grossen Presswerke laufen heiss, seit Jahren steigen die Produktionszahlen. Hersteller haben so viel zu tun wie lange nicht mehr. Die Entwicklung macht vor der Schweiz auch keinen Halt. Ein passendes Beispiel wäre Tommy Vercetti. 

Die Berner Rap-Legende brachte zum 10-jährigen Jubiläum und wegen vielen Nachfragen seiner Fans «Seiltänzer» nochmals als Vinyl raus. Endergebnis, der direkte Einstieg in die Album Charts auf Platz Zwei. Die neue EP «Patient Null» wird Tommy Vercetti am ersten Oktober auf Vinyl rausbringen.

Er zeigt dabei, wie vielversprechend und erfolgreich Platten für Künstler so wie auch fürs Publikum sein können. Doch viele Faktoren spielen eine Rolle, wenn es um die Rückkehr der Schallplatten geht. Einer der wichtigsten Punkte bleibt das Geld.

It’s all about the Para, Para, Para

Für die Schallplatte Fluch und Segen zugleich: das Finanzielle. Wenn man den grossen Vergleich mit Streaming wagt, dominiert selbstverständlich das Geschäft von Spotify und Co. Schallplatten lösten Anfang 2020 die CD zum ersten Mal seit 30 Jahren ab, auch wenn beides zusammen für die grossen internationalen Künstler wenig hermacht. Jedenfalls für die mit vielen Klicks, wie uns Tommy Vercetti auf Anfrage erzählt.

«Es ist ja mittlerweile Allgemeinwissen, dass man mit Streaming kein Geld verdient. Um denselben Gewinn reinzuholen, wie mit einem Exemplar Vinyl, müsste jemand das ganze Album etwas 200 mal anhören.»

Welches Album hört man im Leben schon 200 mal an? Bestimmt nicht viele. Tommys Beispiel deckt sich dabei mit Marketingzahlen von Anbietern und Verkäufern. Die Einnahmen bei einem Albumverkauf an den Künstler sind zwar nicht mehr als maximal 5 Prozent, doch dafür ein Vielfaches gegenüber den unter einstelligen Prozenten bei Streams. Doch der Weg zur gepressten Platte ist am Ende auch ein weitaus Schwierigerer als beim Streaming. Wie uns der Berner - bekanntlich mit kritischem Blick, wenn es um die kapitalistischen Züge unserer Gesellschaft gilt - ebenso erzählt.

«Die Schwierigkeit liegt natürlich in der Produktion, beziehungsweise der Organisation: da muss man sich schon zuerst reindenken, Aufwand betreiben, Geld ausgeben. Das ist schon ein anderes Kaliber, als ein paar Files irgendwo hochzuladen, man sollte sich da auch gut informieren vorher. Aber es lohnt sich.»

Gestapelte Vinylplatten.

Aus finanzieller Sicht ergibt die Schallplatte daher eine Menge Sinn: Als Nebenrelease bei grossen Künstlern oder im Fall von Tommy Vercetti, wenn die Fans sich den Release so wünschen, dass die Einnahmen gegeben sind. Wobei die Fans noch so laut sein können, am Ende muss sich der Künstler zuerst zwingend mit den technischen Aspekten auseinandersetzen.

Mittlerweile kann man mit Schallplatten sogar charten. Muss man denn nicht mit der Zeit gehen?

«Jedem ist klar, dass Vinylplatten ein Zeichen der Vergangenheit sind. Eine andere Zeit, ein Vibe, ein Relikt aus einer anderen Musikgeneration. Vor dem Einzug der Digitalisierung, Social Media und dem Wochen-Release im Rap-Game. Diese Faktoren bestimmen heute die Szene, bieten sie schliesslich mehr Vorteile als der langwierige Prozess hinter dem Plattendruck.»

Ihre Meinung zur Digitalisierung und deren Vorteile haben unter anderem Bligg, Nativ und die Kollegen Luke & Elias in diesem Part der «Uf Takt»-Doku hier geteilt:

Während für Streamingdienste der Song bestenfalls noch am gleichen Tag nach dem letzten Abmischen hochgeladen werden kann, braucht es beim Plattendruck noch weitaus mehr Stationen.

Herstellung von Vinylplatten.

Vom Abmischen fürs Stereo, zur Erstellung der Rillen auf einer Metallplatte mit einem Diamantenschneider, der besonderen Behandlung mit einer Zinkummantelung bis zum Negativ-Pressen für den Massendruck, welcher nochmals mehrere eigene Stationen benötigt. Der Prozess dauert lange und ist für den Künstler auch nicht billig. Ist für Künstler die Produktion die eine Sache, müssen Fans neben dem Platten-Preis ebenso noch in Plattenspieler, Verstärker und Lautsprecher investieren. Es sei die Aufgabe des Künstlers, solche Investitionen den Fans schmackhaft zu machen, meint etwa Stereo Luchs.

«Wenn man selbst Freude am Vinyl-Release hat, kann man eher auch ein paar seiner Fans dazu bringen, sich dafür zu interessieren. Alle haben irgendwann mal mit den ersten paar Platten begonnen, und sich vielleicht sogar erst einen Turntable gekauft nachdem ihnen jemand das Vinyl geschenkt hat oder so.»

Der Zürcher, der bisher all seine Alben in der Schweiz sowohl pressen als auch drucken liess, ist sich dazu also dem Mehraufwand bewusst, den Schallplatten mit sich bringen. «Da muss man halt seine Fanbase etwas abschätzen können, und für sich definieren, wie man in die eigene Musik investiert, wieviel es wert ist. Es bedeutet natürlich einen Mehraufwand: Grafik, Vinyl-Master, Produktion & Vertrieb etc.»

Drei Jahre ist es her, seit Stereo Luchs seine Fans ebenso von Vinyl begeisterte. Sein Album hatte er zuvor in Eigenproduktion in der Schweiz gepresst und hergestellt.

Die Fans des Mediums wissen, warum sie sich für dafür stark machen. Ein wichtiger Bezugspunkt bleibt da etwa das Album. «Man nimmt sich halt Zeit für den Release» oder auch «Ich höre mir das Album endlich mal am Stück an»: Sätze die man von Schallplattenfans oft zu hören bekommt. Das Album stark verbunden mit der Schallplatte. Einfach nach einem Song schnell zu wechseln oder hin und her zu springen ist bei den sensiblen Rillen der Platte nicht zu empfehlen.

Davon zu sprechen, dass das Album als Konzept out ist, wäre zum jetzigen Zeitpunkt übertrieben. Trotzdem hat es für manche Künstler sicher nicht mehr den gleichen Stellenwert wie für andere. Vor allem im heutigen Release-Friday-Streaming-Algorithmus, ist es für manche finanziell gesehen einfach sinnvoller auf einzelne Tracks zu setzen als Fans hinzuhalten bis zum neusten Album-Release. Das heisst noch lange nicht, dass Album-Künstler mit ihren Konzepten bei den Fans nicht begeistern. Ein gutes Beispiel dafür ist das Album «Lince» von Stereo Luchs aus 2017, welcher selbst begeisterter Schallplatten-Fan ist.

«Alte Platten haben auch eine eigene Magie – sie waren schon bei verschiedenen Leuten im Regal & auf dem Turntable, sie haben eine Geschichte, einen Vibe. Ich mag das.»

Stereo Luchs ist offensichtlich ein Fan dieses wiederbelebten Mediums. «Streaming ist halt eher Playlist & Mood orientiert, was auch cool ist, aber im Kontrast steht zu einem Album, das jemand von A bis Z mit einem Konzept oder Spannungsbogen drin durchproduziert hat.» 

Der Kontrast zwischen beidem ist klar. Am Ende wissen Vinyl-Fans aber, was sie am Medium begeistert. Das ist wahrscheinlich einer der bedeutendsten Gründe, warum Künstler wie Stereo Luchs immer noch so Wert auf dieses Medium legen. Die Begeisterung der Fans seiner Musik und der Plattensammler ist ihm einfach wichtig.

Ein Plattenladen.
Sache der Werte und Wichtigkeit

Das Knistern und Rauschen, die Behutsamkeit beim Aufsetzen, das Büchlein mit Songtexten und die ein oder anderen Anekdote zur Entstehung des Albums und natürlich die Bewunderung des Covers. Vinyl-Fans wissen, wie sie das Medium anpreisen können oder manchmal auch, es anderen vergraulen können. Denn Schallplatten haben am Ende des Tages ihren ganz eigenen Reiz, starkverbunden mit einer gewissen Nostalgie. Als Künstler oder Label im Hintergrund weiss man meist, ob die eigenen Fans Wert auf dieses Medium legen oder nicht.Es überrascht nicht wenn eine Loredana, Monet192 oder auch Mimiks bisher keine Schallplatten herausgebracht haben. Die Streamingzahlen sprechen bei allen Dreien für sich. Die meisten Fans fordern heute eher den nächsten Release als eine Schallplatte. Diese Künstler haben schliesslich auch eine weitaus jüngere Zielgruppe, der schlichtweg das Interesse an Vinylplatten fehlt.

Bevor man jedoch beginnt jungen Künstlern die Schallplatte komplett abzusprechen, sollte man Ryler Smith nicht vergessen. Der junge Zürcher hat bisher drei seiner letzten Projekte auch auf Vinyl veröffentlicht. Sein neustes mit Produzent Devaloop entstandene Projekt «Eternal Dreams», limitiert auf 500 Stück in Vinyl, ist jetzt seit Juni draussen. Auf Anfrage erzählte er uns, welche Möglichkeiten die Schallplatte für ihn bereithielt.

«Sowohl bei der Kollabo-LP “Wakilisha” und der Solo EP “VersLibre” kam MZ auf mich zu mit der Möglichkeit, gemeinsam mit dem deutschen Plattenlabel Vinyl Digital eine limitierte Edition von 500 Vinylauflagen neben dem digitalen Release herauszubringen. Für mich war es als junger Künstler natürlich eine riesige Ehre ein Projekt auf Vinyl zu veröffentlichen. Eine Platte hat was retro-mässiges, was spezielles, es ist für Fans ein Sammlerstück und für mich eine der interessantesten Arten, Musik zu hören. Zudem war die Zusammenarbeit mit Vinyl Digital ein einfacher Zugang zum internationalen Publikum und die Platten wurden von überall aus der Welt bestellt, Wakilisha wurde sogar ausverkauft. Leute aus aller Welt schickten mir auf Social Media Videos zu, wie Sie die Platte auf ihrem Plattenspieler gespielt haben, aus Südamerika, Japan, den USA – das war für mich ein Traum, welcher in Erfüllung ging.»

Vinyl als Sprungbrett für eine Internationale Zuhörerschaft

Ryler Smith’s Weg zeugt davon, mit welchen Herzblut Fans dabei sind. Für ihn war sein Schallplatten-Release gleichbedeutend mit einer wachsenden Underground-Hörerschaft, verteilt über die gesamte Welt. Ein Erfolg, der womöglich eine Ausnahme darstellt, doch vergleichbar ist mit dem Durchbruch vieler TikTok-Künstler. Dies jedoch, realistisch gesehen, in einem weitaus kleineren Rahmen. Die Schallplatte wird nie an Streamingdienste herankommen, doch bedient sie einer Nische, die Labels sich entweder nicht entgehen lassen wollen oder die Künstler aus reiner Nostalgie bedienen. Zusammen mit der CD und der Kassette bedient sie einen wachsenden Markt, welcher auch viele Junge nach und nach erreicht. Die Gefahr, dass durch die neuen Musikplattformen und Streaming die Schallplatte ihren Wert verlieren wird, sieht Ryler Smith nicht.

Ein Regal voller Schallplatten.

«Nein, das denke ich eigentlich nicht. Generell bleibt die Authentizität einer Platte erhalten, egal was für neue Trends kommen werden. Ich finde es nice zu sehen, dass ein unbekannter Künstler durch einen viralen Hit auf diesen Plattformen zu grosser Bekanntheit gelangen kann. Ich finde, da muss man mit der Zeit mitgehen und diese neuen Trends verstehen. Es geht bei Platten für viele Konsumenten ja eher um das Sammler-Feeling und die Hör-Experience, da ist der Streaming-Hörer einfach eine andere Art Konsument»

Vinylplatten sind ein besonderes Stück Musikgeschichte, welches selbst in der heutigen Zeit Anklang findet und keiner Ecke im CH-Rap-Genre verschlossen scheint. Natürlich gefällt diese Art Musik zu hören nicht jedem, doch sobald man etwas an Schallplatten für sich entdeckt hat, ist es sowohl als Künstler als auch als Fan nicht mehr so einfach sich davon zu lösen.

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