«Dr Hype isch real» - Zwei Dauerwellenreiter über Fluch und Segen
Thursday
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9
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September
2019

Lo & Leduc im Interview

«Dr Hype isch real» - Zwei Dauerwellenreiter über Fluch und Segen

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September
2019

Lo & Leduc im Interview

«Dr Hype isch real» - Zwei Dauerwellenreiter über Fluch und Segen

Dominik Müller
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«Dr Hype isch real» - Zwei Dauerwellenreiter über Fluch und Segen
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Das erfolgreichste Musiker-Duo der Schweiz spricht über das Phänomen «Hype» und erklärt ihre persönliche Auseinandersetzung damit in der gleichnamigen EP. Durch Hits wie «Jung verdammt» und «079» als Überflieger gebrandmarkt, versuchen sich die beiden auf Authentizität zu konzentrieren und ihre Liebe zu Dancehall und Reggae frei auszuleben. Wie die erfolgsverwöhnten Zwei heute auf Lobpreisungen und Hate reagieren, erzählen sie nur wenige Scrolls entfernt.

EP-Auskopplungen ist man sich von euch nicht gewohnt. Weshalb dieses Format?

Leduc: Nun, das Format ist uns nicht neu. Unser erstes Release im 2007 – noch mit dem Bandnamen Pacomé – war bereits eine EP. Dieses Mal hatten wir einfach wieder ein paar Songs ready. Wir wollten eigentlich drei releasen, das Label meinte «Nein, nur eine Single», darauf meinten wir trotzig «Ok, dann fünf».

«Wenn Rapper uns Pop-Musiker nennen, ist mir das ebenfalls Schnuppe – sie können selbst entscheiden, ob sie von Rappern oder von Pop-Musikern an der Bounce Cypher verbrannt worden sind.»

Folgt ihr damit dem gegenwärtigen Zeitgeist der Branche, möglichst viele kleine «Häppchen» zu veröffentlichen?

Lo: Nein, das Volumen passte einfach. Wir hatten keine Zeit für ein neues Album, aber doch zu viel Mitteilungsbedürfnis für eine Single. Vor einem Jahr waren wir gemeinsam mit Dr. Mo in Frankreich und haben neue Liedskizzen entworfen. Aus fünf dieser Ideen ist die EP «Hype» entstanden.

Leduc: Ich verstehe die neue Tendenz der Industrie, aber das hätte jetzt nicht gepasst. Wir stellen uns die Songs als Team vor –- jeder Track übernimmt seine eigene bestimmte Rolle, die er nur innerhalb einer Equipe erfüllen kann.

In musikalischer Hinsicht scheint ihr keine Kehrtwende hingelegt zu haben in der Zeit zwischen «Update 4.0» und «Hype».

Leduc: Keine Kehrtwende, aber ich finde schon, dass sich «Hype» sehr nach 2019 anhört. Vielleicht hat sich einfach «Update 4.0» bereits nach 2019 angehört. (lacht)

Lo: Im Hinblick auf die Produktion ist «Hype» eine Weiterentwicklung. Wir haben enger als sonst mit unserer Live-Band zusammengearbeitet. Dadurch, dass man im selben Team produziert und auf der Bühne spielt, werden die Lieder noch mehr zu etwas Gemeinsamem. Das macht «Hype» für uns persönlich sehr wertvoll und unterscheidet die EP von älteren Werken.

«Mit Bezeichnungen wie 'Überhit', 'Überflieger', 'Chartstürmer' und so weiter, können wir selbst nicht viel anfangen. Dazu kommen unzählige Geschichten, die Menschen mit diesem Lied verbinden.»

Dancehall-Beats treffen noch immer eure Laune und Geschmack?

Leduc: Yes, wir sind Dancehall- und Reggae-Fans seit eh und je. Bereits bei den Updates 1 bis 3 waren diese Einflüsse zu hören und sie sind noch immer da.

Foto: Maximilian Lederer

Was sich mit «Hype» in meinen Augen geändert hat, ist die äussere Aufmachung. Diese ist sehr populär zeitgemäss: EP-Format, die Bezeichnung «Hype» ein Trendwort aus dem Englischen und rein visuell zeigt ihr euch in dunkler enger Kleidung - Tracksuit mässig.

Lo: Nun, mit dem Thema Hype beschäftigen wir uns seit geraumer Zeit. Dieser Anglizismus passt einfach perfekt als Bezeichnung und ist uns geläufig. Wir wollen Sprache wiedergeben, wie sie in unserer Realität und unserem Sprachgebrauch stattfindet. So hat sich das ergeben.

Dahinter steckt nicht die Absicht ein eher jüngeres Zielpublikum anzusprechen?

Leduc: Überhaupt nicht. An unseren Konzerten sieht man wunderbar, wie bunt durchmischt unser Publikum ist. Kinder und Jugendliche sind präsent, genauso wie ältere Leute. Ich finde es überreal wenn das Publikum aussieht wie ein Quartierfest.

Lo: Wenn wir jetzt absichtlich versuchen würden, die Jungen anzusprechen, dann wäre das sicher zum Scheitern verurteilt, einfach schon, weil wir nicht mehr die Jungen sind.

Leduc: Dass man das Ganze ausserdem eh nicht wirklich steuern kann, Wichtig ist es, sich nicht anzubiedern. Ein schönes Beispiel hierzu ist das Phänomen Trettmann: Er macht mit 45 Jahren authentische Musik und ein sehr junges Publikum feiert ihn dafür...

Leduc: Die Fotos rund ums Cover haben wir auf einer kleinen Spritztour an einem Nachmittag aufgenommen. Mit dabei war ein Koffer voll mit verschiedensten Kleidern. Das finale Shooting hat an einer Autobahnraststätte stattgefunden. Ein etwas trostloser Ort, wo alle nur ankommen, um gleich wieder zu gehen. Wir fanden, dass die Aufnahmen die Leere eines Hypes optimal widerspiegeln.

«Wir haben hier eine stabile HipHop-Bubble mit einem enormen Gefälle zwischen Insidern und Outsidern.»

Was versteht ihr unter der «Leere» eines Hypes?

Lo: Das lässt sich einfach am Fall «079» erläutern. Was damit passiert ist, hat sehr wenig mit uns zu tun. Für uns sticht dieses Lied nicht grossartig heraus. Natürlich haben wir gewusst, dass es runder ist, als viele andere und dass «079» wahrscheinlich mehr Leute ansprechen wird. Aber es bleibt eines von vielen Liedern, die wir gemacht haben. Medial wurde das Ganze natürlich enorm breitgetreten. Mit Bezeichnungen wie «Überhit», «Überflieger», «Chartstürmer» und so weiter, können wir selbst nicht viel anfangen. Dazu kommen unzählige Geschichten, die Menschen mit diesem Lied verbinden. «Ich wusste dank eurem Lied, welche Nummer ich wählen musste, als meine Freundin einen Unfall hatte!» ist eine davon. Wir können uns darüber freuen, aber wir können es nicht nachfühlen, es ist nicht unsere Geschichte. Zwischen dem Song, wie wir ihn sehen und dem, was er für Medien und andere Menschen sein kann, besteht ein grosses Vakuum.

Die Thematik zieht sich, angefangen mit dem ersten Track «Dr Hype isch real», durch die ganze EP. Begründet diese Entscheidung aus dem Wunsch heraus, eure persönliche Erfahrung mit dem Phänomen Hype, seit Release von «Update 4.0», zu teilen?

Leduc: Sicher teilweise. Wir haben uns lange gegen den Begriff gewehrt. Immer wieder, nach «Jung verdammt», nach «079», haben die Leute vom Hype gesprochen. Dabei dachten wir uns: Wenn sich jemand so äussert, bezeichnet er oder sie doch im selben Satz unser Schaffen als sehr kurzlebig. Wir möchten aber eigentlich noch sehr lange Musik machen.

Lo: Nach «079» mussten wir einsehen, dass wir uns vom Hype distanzieren, ihn aber nicht negieren können. Wenn man als Band einer derartigen Medienaufmerksamkeit ausgesetzt ist, hat das sehr reale Konsequenzen.

Leduc: Genau, jeder Hype ist real. Man muss ihn anerkennen. Aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung eines einzelnen Songs wirst du in komplett neue Situationen manövriert.

Rap ist heute in den meisten westlichen Ländern fester Charts-Platzhalter. Wie bewertet ihr den «Hype» von gegenwärtig erfolgreichen Rap-Songs im Ausland, die sich kaum voneinander zu unterscheiden scheinen?

Leduc: Ich bin mir nicht sicher, ob Charts-Musik austauschbarer geworden ist oder nicht. Es gab wohl immer funktionierende Rezepte, die gepusht wurden. Das ist wohl lukrativ für die Industrie, aber für die Künstler in den allermeisten Fällen nicht nachhaltig.

Lo: Ich behaupte, die Mehrheit aller Schweizer*innen ist sich dieser Überreizung von Chart-HipHop gar nicht so bewusst. Wir haben hier eine stabile HipHop-Bubble mit einem enormen Gefälle zwischen Insidern und Outsidern. Ich kenne beispielsweise niemanden, der nicht regelmässig Rap hört, der RIN kennt. Und der war mit seiner letzten Single auf Platz 2 der Schweizer Singlecharts.

Leduc: Problematisch ist wohl nicht zuletzt, dass junge Künstler durch zu austauschbare Rezepte zu schnell «verbrannt» werden, noch bevor sie ihren eigenen Style gefunden haben.

Foto: Maximilian Lederer

Gesellschaftliche Phänomene und Trends in Songs auf die Schippe zu nehmen, ist keine neue Sache und wurde von euch auch schon früher oft praktiziert. Seit «Update 4.0» scheinen vor allem Trends in Zusammenhang mit der Digitalisierung, wie beispielsweise das Online Dating, in den Fokus geraten zu sein…

Leduc: Wir versuchen, bloss die gesellschaftliche Realität wiederzugeben. Wie sieht es mit deiner Bildschirmzeit aus? Meine ist sicherlich zu hoch.

Lo: Auch sprachlich möchten wir möglichst nahbar und real sein. Maurice Ernst, der Sänger von Bilderbuch, hat einmal gesagt, dass in vielen deutschsprachigen Texten Sprache und Metaphorik hängengeblieben und nicht mitgegangen sei mit der Alltagssprache. Vielleicht braucht die lyrische Sprache ein Update.

Leduc: Wir haben uns die Digitalisierung nicht als Thema gesetzt, das fände ich sterbenslangweilig. Wenn überhaupt, geht es bei «Online» um die Unverbindlichkeit heutiger Beziehungen.

Hat der Begriff «Hype» für euch etwas mit Digitalisierung zu tun?

Lo: Nein, nicht direkt. Schon Louis XIV war ein richtiger Hype-Boss. Er hat gesagt, er sei der Sonnenkönig. Alle wissen, wie wichtig die Sonne ist, also ist er auch sehr wichtig. Smoothes Marketing.

Lo, sprechen wir von der LYRICS Awards Verleihung im vergangenen März: Du bist einer der besten Freestyler des Landes und hast einige Jahre Erfahrung als Rapper auf dem Buckel. Hat es geschmerzt, Pfiffe zu hören, als du die Auszeichnung «Best Album» entgegengenommen hast? Denn zweifellos stammte der Unmut einiger Zuschauer daher, dass «Update 4.0» ihrer Meinung nach kein «Rap-Album» ist.

Lo: Nein. Ist mir Wurst. Wenn jemand pfeift, ist mir das egal. Ob man mir Rapper oder Pop-Musiker sagt, ist mir egal. Und wenn Rapper uns Pop-Musiker nennen, ist mir das ebenfalls Schnuppe – sie können selbst entscheiden, ob sie von Rappern oder von Pop-Musikern an der Bounce Cypher verbrannt worden sind.

Leduc: Ist man sich bewusst, weshalb solche Pfiffe entstehen, sieht man das nicht mehr so tragisch. Oft ist blosse Aussenwahrnehmung verantwortlich für die verzerrte Abneigung gegenüber einem Artist. Ich kann mir gut vorstellen, dass mich mein 15-jähriges, rappendes Ich nicht ernst nehmen und für nicht «real» halten würde, wenn es Plakate von uns sehen würde. Viele assoziieren Erfolg automatisch mit «sich kaufen lassen». Eine kritische Haltung ist aber grundsätzlich super, auch uns gegenüber.

Lo: So ist es, seid kritisch! Am 20. Oktober sind Parlamentswahlen, da wird eine kritische Haltung gebraucht. Geht wählen!

Foto: Maximilian Lederer
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