Kritik an der CH-Rap-Szene aus dem Hatepop-Camp
Wednesday
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September
2022

Was haben CH-Rap und das Suisse Miniature gemeinsam?

Kritik an der CH-Rap-Szene aus dem Hatepop-Camp

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2022

Was haben CH-Rap und das Suisse Miniature gemeinsam?

Kritik an der CH-Rap-Szene aus dem Hatepop-Camp

Yosina Koster
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Kritik an der CH-Rap-Szene aus dem Hatepop-Camp
Quelle:
YouTube
Braucht die Schweiz wirklich den tausendsten Track darüber, wie das CH-Rap Game dominiert wird? Ja klar, wer hat schon keine Schwäche für eine grössenwahnsinnige Punchline, welche den eigenen, selbstverständlich extrem hohen Status in der CH Raplandschaft beweihräuchert. Andererseits schadet auch ein (selbst-)kritischer Blick auf diese Szene nicht. Die perfekte Balance zwischen Kritik und Aufschneiderei treffen Jessica Jurassica und zeny. in ihrem Track «Gaslight Nation».

«Gaslight Nation» ist intensiv, aber nicht anstrengend zu hören. Die Hook hat eine hässige Attitude und die Beats fühlen sich an, als könnte der Track live ein guter Abrisssong werden. Die Autorin Jessica Jurassica und die Newcomerin zeny. rappen über einen seidenfeinen Abfuck-Beat, produziert vom Hatepop-Kollektivmitglied Artbabe. Obwohl der Track problemlos geniessbar ist, ohne dass man sich über die Lyrics den Kopf zerbricht, lohnt es sich, bei «Gaslight Nation» genauer hinzuhören. «Gatekeep City, Gaslight Nation, Girlboss Galaxy» - die Hook ist mit dieser Wortkombination catchy fürs Ohr, doch zwischen den Zeilen hat der Track einiges mehr an Tiefgang zu bieten. Wir versuchen es mit einer Analyse.

Jessica Jurassica eröffnet den ersten Verse mit der Beschreibung, welcher Platz für FLINTA-Personen in der patriarchalen Rapszene reserviert ist; der in der zweiten Reihe, als Accessoire, links neben der Bühne, als Trophy Wife. Auf keinen Fall auf Augenhöhe mitten in der Szene. «Ich bin da und blibes au / ihr hend nüt wo ich nöd ha» rappt zeny. in der Hook, represented sich dabei in klassischer HipHop-Manier selbst. Aber wer bestimmt, wer da sein darf, wer in der Szene mehr als nur ein Accessoire sein darf? Und lohnt es sich überhaupt, dabei zu sein? «es Zimmer ganz für mich / zwüsche Sandsteiwänd» - Gebäude aus Sandstein stehen oft unter Denkmalschutz, sie sind meistens sehr alt und dürfen praktisch nicht verändert werden. Mitten in diesem starren Denkmal aus altem Sandstein, welches sich die Altherren des Raps aufgebaut haben, gibt es vielleicht inzwischen auch ein (hart erkämpftes) Zimmer für Rapperinnen wie Jessica Jurassica, doch dieses Bild, das sie hier malt, erzählt eher von Einsamkeit und Isolation innerhalb einer veralteten Struktur. Will man da überhaupt hinein?

Unter «Gatekeeping» wird das «Hüten eines Tores» verstanden. Hinter diesem metaphorischen Tor liegt jeweils eine Szene, eine Bubble oder ein Feld an Informationen, zu welchen der Zugang beschränkt wird. Die «Gatekeeper» bestimmen, wer in diese Szene rein darf und was innerhalb dieser Szene als relevant verstanden wird. Gatekeeping ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, sondern kann auch zur Qualitätssicherung beitragen. Die «Gatekeeper» haben allerdings auch eine sehr grosse Bestimmungsmacht, die sie nutzen und ausnutzen können. Dass das Gatekeeping in der Rapszene bisher eher unausgeglichen und ungerecht abläuft, ist bekannt – schliesslich ist das Dasein als Trophy Wife, welches Jessica Jurassica im ersten Verse beschreibt, genau so ein Dasein vor den Toren der Rapszene.

Der herrlich tacky Videoclip zum Track untermalt genau dieses Bild von der überbewerteten Rapszene. Im Suisse Miniature rappen die beiden mit klassisch-protziger Körpersprache über lächerlich kleinen Städten der Schweiz. Analogien / Vergleiche für Punchlines lassen sich hier endlos finden – das Suisse Miniature ist sehr klein, genau wie das CH-Rap Game. Das Suisse Miniature zeigt nur ganz spezifische Facetten der Schweiz auf, genau wie die überwiegend von Männern dominierte Rapszene. Für wen ist das Suisse Miniature gedacht? Für Kinder. Für wen ist die CH-Rapszene? Voila. Und mitten drin in dieser Suisse Miniature Rapszene stehen Jessica Jurassica und zeny., zu gross für das alles, zu bunt, zu laut, zu fresh.

Im zweiten Verse erzählt zeny. von der Rolle, in die sie sich gedrängt fühlt: «24/7 schüttisch mir dis Härz us / schüttisch mir mis Härz zue / als gäbti mir das nüt ztue». Die emotionale Arbeit, die zeny. hier beschreibt, findet auf vielen Ebenen statt; sei es in persönlichen Beziehungen oder im gesellschaftlichen Diskurs – es kann wohl nie genug Umsorgung und Aufmerksamkeit geben, wenn cis-Männer dem Rest der Welt volljammern, wie schwer sie es haben. «Muesses eifach handle / blibe still und nätt / bis mir di ganz Stress / a mim Körper chläbt / wirdi denne hässig / seit me mir heb d Schnure» - wer sich gegen diese Rollen wehrt, wird zum Schweigen gebracht, als aufmüpfig und frustriert hingestellt.

Unter «Gaslighting» wird eine bestimmte Art des psychischen Missbrauchs verstanden. Von «Gaslighting» spricht man dann, wenn eine Person bewusst so manipuliert wird, dass sie langsam an ihrer eigenen Wahrnehmung beginnt zu zweifeln. Ein klassisches Beispiel von «Gaslighting» in Zusammenhang mit Diskriminierung ist, wenn Betroffene von erlebter Diskriminierung berichten, Hilfe suchen oder Täter:innen benennen, und dann als verrückt / hysterisch / paranoid / überempfindlich diskreditiert werden. Gaslighting und Gatekeeping greifen dann in einander, wenn Menschen auf diskriminierende Weise aus einem Kreis ausgeschlossen werden, und dann diskreditiert werden, wenn sie sich dagegen aussprechen.

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Wie also umgehen mit der Gatekeep City bzw. Gaslight Nation CH Rap? Neoliberale Feminist:innen würden sagen: du bist deines eigenen Glückes Schmied:in, als Frau musst du dir den Weg durch die Rapszene halt durch girlbossen. Und dabei trotzdem nie auf die Solidarität der privilegierten Rap-Kollegen zählen können: «Alli wänd mi ässe und du hebsch dini Frässe».

Für Jessica Jurassica und zeny. bedeutet dieser Weg durch die Raplandschaft: «Fänsterschibe splitteret / fang mal afah zittere» rappt zeny., und die zersplitternden Fensterscheiben erinnern einerseits an den berühmten «Glass Ceiling», damit ist die unsichtbare Wand gemeint, welche es für marginalisierte Menschen aufgrund der Diskriminierung  schwieriger macht, aufzusteigen. Andererseits zeigt diese zersplitterte Scheibe auch, dass dieses Vorwärtskommen für die Betroffenen am Ende immer irgendwie mit Schmerz und mit Sachen kaputt machen verbunden ist. Pflastersteine und Traumata.

«Find de Wäg aleige / au wennd ne gärn würsch zeige»

Männer, die den Weg zeigen; zeigen, wo’s lang geht – wer kennt es nicht. Doch zeny. findet den Weg alleine. Fragt sich, welchen Weg sie hier meint; an den Gatekeepern vorbei und durch die Rapszene hindurch bis zur Spitze oder doch auf dem schnellsten Weg wieder raus aus diesem Rap-Suisse Miniature? Wenn Jessica Jurassica und zeny. wie Royals über den kleinen Häuschen des Suisse Miniature thronen, dann sieht das schon ziemlich cool aus. Aber zurecht stellen die beiden in ihrem Track die Frage, ob es das wirklich Wert ist, Girlboss in dieser lächerlich kleinen Gaslight Nation zu sein.

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