Droht dem Gangsterrap die Zensur?
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May
2018

Kolumne

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2018

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Droht dem Gangsterrap die Zensur?

Droht dem Gangsterrap die Zensur?
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Das deutsche Rap-Duo Kollegah und Farid Bang eckt an, wo es nur möglich ist. Für den Sieg des Echos letzten Donnerstag ernteten sie eine Menge Hate. Immer mehr Musiker geben ihre gewonnen Echos als Zeichen der Solidarität zurück. Der deutsche Bundesverband für Musikindustrie will das Nominierungssystem anpassen.

Kollegah und Farid Bang haben letzten Donnerstag für ihr Album «Jung Brutal Gutaussehend 3» den wichtigsten deutschen Musikpreis, den Echo, in der Kategorie «HipHop/Urban National» gewonnen. Schon vor der Preisverleihung hagelte es Kritik. Campino von den Toten Hosen verurteilte die Texte der beiden Gangsterrapper in seine Siegesrede – ohne Namen zu nennen. Ihre Lyrics seien frauenfeindlich, gewaltverherrlichend und antisemitisch. Er erntete dafür den lautesten Applaus des Abends.Die Textzeilen, die für die meisten roten Köpfe gesorgt haben, lauten «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen» und «Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow». Dass diese Zeilen provozieren, ist klar und offensichtlich auch beabsichtigt. Zusätzliches Öl ins Feuer giesst die Tatsache, dass die Preisverleihung genau auf den Holocaust-Gedenktag gefallen ist. Inzwischen haben mehrere Gewinner ihre Preise aus Protest wieder zurückgegeben.Man kann sich nun fragen, ob die Texte wirklich antisemitisch sind. Ihre Lines sind aber in keiner Weise unproblematisch, denn durch solche Wortwitze können Hörer durchaus bis zu einem bestimmten Grad abstumpfen. Völlige Desensibilisierung geht dann aber doch einen Schritt weiter. Junge Fans verstehen schnell, wie Punchlines auf Kosten von Minderheiten einzuordnen sind. Andererseits ist es Realität, dass sich Betroffene attackiert fühlen. Auch das muss man berücksichtigen.

Wo liegt die Grenze der künstlerischen Freiheit?

Jetzt hat der Echo-Vorstand entschieden, das System der Preisverleihung zu überarbeiten. Details sind noch keine bekannt. Was problematisch ist: Wollen die Juroren der Echos gezielt gegen solche Texte vorgehen, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Zensur. Wo zieht man die Grenzen? Sind Mütterficker-Lines noch in Ordnung oder eliminiert man ein ganzes Album von den Nominierungen nur wegen Gebrauch des Wortes «Hurensohn»?LYRICS-Redaktor Moritz Wey behandelte in seiner Kolumne «Rap ist Kunst und Kunst darf alles – oder nicht?» genau dieses Thema. Sein Fazit: Für HipHop-Insider ist klar, dass Disses und moralisch fragwürdige Vergleiche dazu gehören. Aussenstehende lassen sich von Texten schockieren, die für Rap-Fans völlig normal sind, weil sie die «HipHop-Battle-Brille» nicht aufhaben.Das Fluchen und das Representen gehören zum Rap wie das Amen zur Kirche. Will der Echo ein realitätsgetreuer Preis sein, so muss er das berücksichtigen. Die Verkaufszahlen sprechen für sich und beweisen, dass Rap in der Musiklandschaft Deutschlands (und der Schweiz) einen hohen Stellenwert geniesst. Streicht er provokante Songs aus den Nominationen, wird die Jury nur noch die Auswahl zwischen Cro und Prinz Pi haben. Ausserdem zeichnet der Echo die höchsten Verkaufszahlen aus. Kollegah und Farid Bang haben mit einem Platin-Album und über 30 Millionen Streams verdient gewonnen.

Lasst uns die Debatte fair führen

Wie Dennis Sand für die «Welt» am Sonntag zu Recht schrieb, wird die Debatte, die sich nach den Echos entwickelt hat, unfair geführt. Journalisten und Prominente, die sich nicht mit der Materie auskennen, verurteilen die Battle-Rapper, ohne den Kontext zu kennen. Die Schmerzgrenze in dieser Szene ist um ein Vielfaches höher, denn es geht genau darum, den oftmals imaginären Gegner so kreativ und brutal zu beleidigen wie nur irgendwie möglich. Nach dem Fight gibt man sich die Hand in gegenseitigem Respekt und verlässt den Ring – eigentlich eine friedliche Alternative zum Faustkampf.

«Journalisten und Prominente, die sich nicht mit der Materieauskennen, verurteilen die Battle-Rapper, ohne den Kontext zu kennen.»

Das Problem dieser Debatte liegt darin, dass sich vor allem Laien dazu äussern. Um über Rap-Zeilen urteilen zu können, muss man sich mit Rap befassen – einen einzelnen Pinselstrich zu verurteilen, ohne das ganze Bild zu sehen, macht keinen Sinn. Man kann Kollegah und Farid Bang nicht aufgrund einzelner Songzeilen als Antisemiten abstempeln. Durchaus kritisierbar sind judenfeindliche, homophobe oder sexistische Äusserungen der Privatperson Felix Blume, wie Kollegah mit bürgerlichem Namen heisst. Auch bei seiner Vorliebe zu Verschwörungstheorien sollte man genau hinsehen. Ob er tatsächlich ein Antisemit ist, können wir schlecht beurteilen, und schon gar nicht anhand seiner Songtexte. Völlig auszuschliessen ist dies aber nicht.

Battlerap ist Provokation pur

In dieser Diskussion vergessen wir häufig, dass Musik immer noch primär Unterhaltung ist und nicht zwingend die Realität portraitiert. Es gibt Rap, der bewusst realitätsbezogen ist und der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Bei Kollegah und Farid Bangs Battlerap ist dies nicht der Fall. Felix Blume, ist nicht der Charakter, den er am Mic und auf der Bühne spielt. Gewalt, Sex und Geld lassen sich leicht verkaufen. Nicht umsonst sind Serien wie «Game of Thrones», «Narcos» oder «Breaking Bad» Publikumslieblinge. Uns ist klar, dass Bryan Cranston, der Darsteller von Walter White, kein Meth kocht. Aber bei deutschen Rappern nehmen wir jedes Wort für bare Münze. Wie SRF-Moderator Pablo Vögtli im Interview mit 20 Minuten passend sagte: «Für mich ist die Musik von Kollegah ein gut gemachter Actionfilm, mit Explosionen und Statistenverschleiss, und ich nehme die wenigsten Zeilen auch nur ansatzweise ernst.»

Und die Schweiz?

Wenn der Echo seine Nominierungs-Kriterien anpasst, ist es nur allzu gut möglich, dass die Schweiz mitzieht. Die diesjährige Rap-Performance an den SMAs war für viele schon provokativ genug. LCone eröffnete seinen Verse gleich mit der Line «Hueresohn ich bin jung und ich flueche» und Xen schoss auf den gesellschaftsfähigen HipHop von Nemo und Lo & Leduc. Wenn die SMAs diese Provokationen nicht mehr zuliessen, wäre das ein Schuss vor den Bug der an Fahrt aufnehmenden CH-Rap-Galleone. Derweil stehen die Veranstalter des geplanten Auftrtittes von Kollegah und Farid Bang am 5. Mai in Schaffhausen unter massivem Druck. Eine Initiative verlangt, dass die Clubshow absagt wird.

Es ist sinnvoll, dass sich die Medien und die Öffentlichkeit mit den Themen der Gewaltverherrlichung und des Antisemitismus auseinandersetzen. Man kann und soll nicht alles zulassen. Allerdings wäre es wünschenswert, dass man nicht nur besorgte Mütter und Musiker anderer Genres zu Worte kommen lässt, sondern auch Jugendliche, die die direkte Zielgruppe von Gangsterrap darstellen – und eben Szenen-Insider.Das LYRICS Magazin setzt sich dafür ein, diese Kunstform «HipHop» auch nach aussen zu tragen und Menschen damit vertraut zu machen, um Missverständnisse zu verhindern. Genauso fordern wir aber auch von den Rapperinnen und Rappern, dass sie ihre Kunst und deren Wirkung hinterfragen. Erst wenn sich alle Parteien auf Augenhöhe begegnen, kann ein konstruktiver Diskurs entstehen.Text: Valentin Oberholzer

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