Psychologiestudenten analysieren CH-Raptexte von Tommy Vercetti und Gimma
Wednesday
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7
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July
2019

Teil I

Psychologiestudenten analysieren CH-Raptexte von Tommy Vercetti und Gimma

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2019

Teil I

Psychologiestudenten analysieren CH-Raptexte von Tommy Vercetti und Gimma

Psychologiestudenten analysieren CH-Raptexte von Tommy Vercetti und Gimma
Quelle:
Die Musik als Kunstform wird von Rappern oft dazu genutzt, um einiges in ihren Texten zu verarbeiten. Wir möchten es genauer wissen: Was geht in ihren Köpfen genau vor? Zwei Studierende der Angewandten Psychologie wagen sich an die interpretative Psychoanalyse der Songs von Tommy Vercetti und Gimma. Dies sind jedoch nur die persönlichen Ansichten der Studierenden, keine wirklichen Diagnosen. Vorsicht: Es wird deep.

Experte: Lucien Dunkelberg

Alter: 31

Studiengang: Studium der Psychologie seit 2015

Spezielles: YouTube-Kanal seit 2017 mit psychologischen Analysen u.a. von Rappern

Expertin: Nadia Leonti

Alter: 46

Studiengang: Studium der Psychologie seit 2018

Spezielles: Musikerin, Songwriterin, Produzentin / www.leontimusic.ch

Tommy Vercetti – Briäf a misäuber

Lucien: Der Songtext wirkt sehr selbstreflektiv, was als grosse Ressource betrachtet werden kann: Vercetti kann über sich selber nachdenken, vermutlich nach einer längeren Zeit der Unsicherheit und der Enttäuschung. Die möglichen unangenehmen Erlebnisse wirken als Entwicklungskatalysator, wodurch er sich wichtige Fragen stellt und zu Erkenntnissen kommt, die ihn weiterzubringen scheinen.

Nadia: Was zu Beginn als Herzschmerz-Song über eine verflossene Liebe interpretiert werden könnte, entpuppt sich eher als einen Text über die Unerreichbarkeit einer idealen Liebe. Das grundlegende Gefühl ist die Einsamkeit, hier symbolisiert durch den Winter.

«wöu liäbi isch verschaffä, isch akzeptiärä, isch entscheidig, wiuä isch romantischer aus schicksau, / gedud me lideschaft aus hass.u mängisch möchtsch ärä is gsicht schla / dr hass chochet tief.»

Lucien: Dies sind zwei sehr gefühlvolle Zeilen. Hier könnte man gut nachfragen, was diesen Hass ausgelöst hat, welche Bedürfnisse nicht erfüllt worden sind, welche Werteinstellungen verletzt wurden.

«philosophie wird nid grössr aus dini mam we si di wiäget / si sägä di zitä si vrbi u vrsteckä d truur i irne ouge»

Lucien: Hier wird das Bedürfnis der Geborgenheit sichtbar, welches vermutlich mehrmals nicht erfüllt werden konnte und deswegen eine starke Trauer auslöst. Er sieht diese Trauer bei anderen Menschen. Hier würde ich vom Abwehrmechanismus der Projektion ausgehen, der es einem Menschen ermöglicht, Gefühle, Vorstellungen oder Wünsche auf andere Menschen zu projizieren, um damit persönliche Konflikte oder unangenehme Gefühle weniger spürbar zu machen.

Nadia: Ich denke, dass sich in diesen Zeilen möglicherweise seine eigene Traurigkeit in den Augen seiner Mutter spiegelt. Die Sehnsucht nach der Verschmelzung mit ihr, die nie gelang. Ein Fass ohne Boden.

«liäbi isch ke suprmarkt, du fingsch kes produkt nach mass»

Nadia: Er weiss es eigentlich, und doch gerät er immer wieder in ein Schwarz-Weiss-Denken, das auf eine mögliche Borderline- oder sogar einer Narzissmus-Problematik hinweisen könnte. Vergötterung vs. Hass, Mangel an Vertrauen und das Bedürfnis, Kontrolle ausüben zu müssen. Da hilft auch keine Trivialisierung: «…was Jesus scho immer gwüsst het, chunsch du nach, entsteit ribig.» Es ist eben mehr als das. Er bleibt jedoch kämpferisch und beschwört den eigenen Willen. Das ist positiv, sieht er sich doch selbst als Urheber seiner Gefühle und Handlungen. Da ist Veränderung möglich. Dafür muss er sich aber definitiv nicht schöner machen als er eh schon ist!

Gimma – Eh nid ewig

Lucien: Erster Eindruck: Ein Gegenspiel zwischen «Gut» und «Böse». Die Hexe als Schattenwesen, das die inneren Abgründe von Angst, Zweifel und Verlorenheit repräsentiert. Zeitgleich ist es aber auch die Quelle von Euphorie, Sexualität und Hedonismus, und schlussendlich besitzt es eine Allmacht, den Turm wieder aufzurichten. Der Turm könnte als Anspielung an den Graubündner Investor Remo Stoffel gesehen werden. Eine gewisse Machtthematik ist im Songtext erkennbar. Das Abschlussbild mit der Hexe und dem «Engel» zeigt das psychologische Ideal der Ausgeglichenheit: Angenehme, also positive, wie auch unangenehme, also negative Affekte oder psychische Gegebenheiten werden durch den Weg der Akzeptanz zusammengeführt. Dadurch wird die innerpsychische Waagschale ausgeglichen, was zum Glücklichsein führen kann.

Nadia: Ich muss anmerken: Gimmas Zeilen sind weniger eindeutig. Schon gar nicht nachdem ich den Clip geschaut habe. Ich bleibe also bei meinem ersten Eindruck, der mir nach der Analyse der Lyrics geblieben ist. Vieles ist assoziativ geschrieben und möglicherweise auch vom guten Klang der Worte hergeleitet worden.

«mit Hitz glada wiana Tag Sunna»

Nadia: Trotzig weist er darauf hin, dass er immer noch brennt, aber es scheint, als wisse er nicht mehr genau auf was er „hinbrennt“. Wahrscheinlich sucht er nach neuen Inhalten.

«Min gröschti Feind bliib immer no i»

Lucien: Eine der wichtigsten Selbstreflexionen die es gibt, wenn auch etwas hart ausgedrückt: Man trägt für sich selbst, für die eigenen Gefühle und für sein Handeln die Verantwortung. Diese kann einem niemand abnehmen. Das bedeutet auch, dass man selber für Wut, Verzweiflung und Angst verantwortlich ist und einen entsprechenden Umgang finden muss. Eine solche Einsicht kann eine Bedrohung für den Selbstwert darstellen, da man sich eingestehen muss, dass man selber nicht perfekt ist und auch unschöne Seiten besitzt. Diese Erkenntnis führt aber häufig zu einer Entwicklung und zu einer vergrösserten Akzeptanz seiner selbst, sofern man die damit verbundene Krise überwinden kann.

Nadia: Es scheint mir, als sinniere er über das Älterwerden. Das Alter als den Feind im Nacken, der seine jugendlichen Träume und Hoffnungen bedroht. Vielleicht macht sich eine Seite in ihm bemerkbar, die er bisher erfolgreich als „Spiesser“ bekämpft hat. Es braucht nur eine gescheiterte Beziehung und man merkt, wie sehr man es sich in einem häuslichen, eher konservativen Leben bequem gemacht hatte.

«ah khumm – Attitüda formt dä hart Hund / no immer durabissa, nia meh unterschriiba»

Lucien: Er beisst sich durch, hat viel Energie. Dies ist eine starke Ressource, mit der man arbeiten kann.

«wia Atomkrater und i graba ds Loch, ohni ds / Grab z bruucha / Uhuara professionell / Uhuara professionell sim mer gschiiteret»

Lucien: Hier benennt Gimma sehr starke Gegensätze: Ein Atomkrater und einen Menschen, der ein Loch gräbt, gegenüber dem grossen Scheitern, das ironisch als sehr professionell überzeichnet wird. Hier könnte man von einem starken Gefühlsempfinden ausgehen, also jemandem, der seine Gefühle sehr stark empfindet und mit ihnen in Kontakt steht. Eventuell kann auch die Gefühlskontrolle ein Thema sein, da eine verringerte Kontrolle von Gefühlen diese noch stärker erlebbar macht.

«Mini Gedanka und Troim, mini Hoffnig, mis / Alles / wirsch du miar nia könna neh»

Lucien: Intuitiv würde ich hier sagen, dass die Gedanken, die Träume und die Hoffnung stark bedroht sind, da sie so vehement beschützt werden müssen: «Du wirst sie mir NIE nehmen können».

Anmerkung der Redaktion: Alle Deutungen der Studenten beziehen sich nur auf den Textinhalt der Lieder. Es werden keine wirklichen Rückschlüsse auf den Menschen dahinter gezogen. Dies sind keine Diagnosen, da solche nicht aufgrund von Texten gestellt werden können. Es handelt sich um reine Interpretation der Studierenden.

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